Der Verfall des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreter oder Vertragshändlers nach nur einem Jahr
Den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und – in analoger Anwendung – des Vertragshändlers regelt § 24 Handelsvertretergesetz. Und diese Bestimmung enthält in ihrem Abs 5 eine Verfallsfrist.
Der Handelsvertreter verliert den Ausgleichsanspruch, wenn er dem Unternehmer nicht innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mitgeteilt hat, daß er seine Rechte geltend macht.
Diese Verfallsfrist wird mitunter auch von im Vertriebsrecht erfahrenen Rechtsanwälten übersehen, weshalb sie nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden kann.
Wenn in diesem Beitrag vom Handelsvertreter die Rede ist, gilt das Gesagte für einen Vertragshändler gleichermaßen.
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Verfall des Ausgleichsanspruchs – Dauer der Verfallsfrist
Die Verfallsfrist beträgt nur ein Jahr (§ 24 Abs 5 Handelsvertretergesetz).
Es handelt sich um eine materielle Ausschlussfrist (Präklusivfrist). Bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung erlischt der Ausgleichsanspruch daher endgültig. Eine Verkürzung der Verfallsfrist ist nicht zulässig (§ 27 Handelsvertretergesetz).
Verfall des Ausgleichsanspruchs – Beginn der Verfallsfrist
Die Verfallsfrist beginnt mit dem Ende des Handelsvertretervertrages zu laufen (OGH 30.9.2009, 9 ObA 91/08k). Der Tag, an dem der Lauf der Verfallsfrist beginnt, variiert daher je nach Beendigungsart.
- Letzter Tag eines befristeten Handelsvertretervertrages.
- Tag, an dem bei einer einvernehmlichen Vertragsauflösung das Vertragsverhältnis enden soll.
- Letzter Tag der Kündigungsfrist.
- Tag des Zugangs der Erklärung über die Auflösung aus wichtigen Grund (vgl. Nocker, Handelsvertretergesetz² § 24 Rz 794).
Besondere Beachtung verdient eine Kündigung, welche die geltenden Kündigungsfristen oder -termine nicht einhält. In einem solchen Fall hat die andere Vertragspartei ein Wahlrecht (§ 23 Abs 1 Handelsvertretergesetz). Sie kann auf der Erfüllung des Vertrages bestehen oder die zeitwidrige Kündigung akzeptieren und Schadenersatz begehren. Wer sich dabei für die zweite Alternative entscheidet, muss Folgendes beachten. Die Verfallsfrist beginnt dann bereits mit dem ursprünglich fristwidrigen und anschließend akzeptierten Kündigungstermin zu laufen.
Verfall des Ausgleichsanspruchs und Anerkenntnis
Verhindert wird ein Verfall des Ausgleichsanspruchs durch ein Anerkenntnis des Ausgleichsanspruchs. Wenn also der Unternehmer den Ausgleichsanspruch dem Grunde nach anerkannt hat, muss er nicht mehr gesondert geltend gemacht werden.
Aber Vorsicht! Die bloße Zahlung eines geringen Betrages an den Handelsvertreter unter dem Titel „Ausgleichsanspruch“ hindert den Verfall eines darüber hinaus vom Handelsvertreter beanspruchten Mehrbetrages nicht. In einem solchen Fall muss der Handelsvertreter den Mehranspruch innerhalb der Verfallsfrist anmelden, um den Verfall abzuwenden.
Form der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs
Damit ein Verfall des Ausgleichsanspruchs nicht eintreten kann, muss der Ausgleichsanspruch vor Ablauf der Verfallsfrist geltend gemacht werden.
Das Gesetz schreibt keine bestimmte Form für die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs vor. Auch der OGH hat mittlerweile bestätigt, dass sowohl eine mündliche als auch eine schriftliche Anmeldung möglich sind (OGH 30.9.2009, 9 ObA 91/08k). Insbesondere nicht notwendig ist eine gerichtliche Geltendmachung.
Wie bei allen empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist entscheidend, dass der Zugang der Erklärung innerhalb der Verfallsfrist erfolgt.
Keine Bezifferung des Ausgleichsanspruchs notwendig
Ebenfalls bestätigt hat der OGH in der bereits genannten Entscheidung (OGH 30.9.2009, 9 ObA 91/08k), dass der Ausgleichsanspruch in der Geltendmachung vor Ablauf der Verfallsfrist nicht beziffert werden muss, und zwar auch nicht ungefähr. Schließlich kann der Unternehmer in der Regel selbst abschätzen, mit welcher Forderung er rechnen muss.
Für die Abwendung des Verfalls reicht somit die formlose Mitteilung an den Unternehmer, dass der Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch geltend macht.
Und wieder Vorsicht! Eine verfrühte Bezifferung des Ausgleichsanspruchs durch den Handelsvertreter kann böse Folgen haben. Denn wenn er den Ausgleichsanspruch innerhalb der Verfallsfrist beziffert hat, kann er nach Ablauf der Verfallsfrist keinen höheren Anspruch mehr begehren. Vgl. dazu OGH 24.2.2010, 3 Ob 212/09m, im letzten Absatz VII.
Verfall des Ausgleichsanspruchs und Verjährung
Die formlose Anmeldung des Ausgleichsanspruchs innerhalb eines Jahres ab Ende des Handelsvertreterverhältnisses verhindert den Verfall.
Daneben ist aber selbstverständlich auch die für den Ausgleichsanspruch geltende Verjährung zu beachten. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters verjährt nach drei Jahren (§ 18 Abs 1 Handelsvertretergesetz).
Der Beginn der Verjährungsfrist eines Anspruchs richtet sich üblicherweise nach der Fälligkeit des Anspruchs. Die Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs hängt aber davon ab, wann der Handelsvertreter diesen fällig stellt. Das bedeutet, dass der Handelsvertreter durch Zuwarten die Fälligkeit und damit auch die Verjährung verzögern könnte. Dies wäre unbillig und nicht im Sinne des Gesetzgebers. Deshalb soll die Verjährung nach der vertriebsrechtlichen Literatur mit der erstmaligen objektiven Möglichkeit des Handelsvertreters zur Rechnungslegung beginnen. So etwa Nocker, Handelsvertretergesetz² § 24 Rz 821, unter Verweis auf M. Bydlinski in Rummel, ABGB II³, § 1502 Rz 1.
Und wann ist diese Rechnungslegung nun konkret erstmalig möglich? Nocker verweist auf die letzte Abrechnung des Unternehmers, auf die der Handelsvertreter zur Errechnung seines Ausgleichsanspruchs angewiesen ist. Nach Zugang dieser letzten Abrechnung sei dem Handelsvertreter noch eine angemessene Frist zuzugestehen. Und nach deren Ablauf beginne die Verjährung zu laufen. Diese Lösung leuchtet ein. Eine verlässliche Empfehlung lässt sich daraus aber nicht ableiten, zumal es insoweit noch an höchstgerichtlicher Judikatur fehlt.
Der vorsichtige Handelsvertreter und Rechtsanwalt wird daher folgendermaßen vorgehen.
- In jedem Fall wird er den Ausgleichsanspruch innerhalb eines Jahres ab Ende des Handelsvertretervertrages formlos dem Grunde nach anmelden. Dadurch wird der Verfall abgewendet. Eine Bezifferung ist dabei nicht notwendig und sollte nur erfolgen, wenn auch der gegebenenfalls gerichtlich geforderte Betrag schon ermittelt wurde.
- Überdies wird er den Ausgleichsanspruch, wenn eine Einigung bis dahin nicht möglich war, innerhalb von drei Jahren ab Ende des Handelsvertretervertrages gerichtlich geltend machen. Dadurch wird der Verjährungseinrede jeder Boden entzogen. Und dafür ist eine Bezifferung naturgemäß notwendig.
Ein letztes Detail: Die Verjährung ist gehemmt, solange der Unternehmer auf die Anmeldung eines Anspruchs durch den Handelsvertreter nicht anwortet. Das bestimmt § 18 Abs 3 Handelsvertretergesetz. Deshalb ist die Zeit, die der Unternehmer für seine Reaktion auf die Anmeldung des Ausgleichsanspruchs benötigt, in die drei Jahre nicht einzurechnen.