Warum ist ein erweiterter Eigentumsvorbehalt in Österreich unwirksam?
Dem vertriebsrechtlichen Praktiker kommen immer wieder Vertriebsverträge und Vertriebsbedingungen unter, in denen ein sogenannter „erweiterter Eigentumsvorbehalt“ vereinbart wird. Der Verkäufer soll das Eigentum an der Ware nicht nur bis zur Bezahlung des auf die Ware entfallenden Kaufpreises behalten. Vielmehr soll er bis zur Bezahlung sämtlicher offener Forderungen Eigentümer der Ware bleiben.
Nach in Österreich herrschender Ansicht ist ein erweiterter Eigentumsvorbehalt unwirksam. Die Begründung dafür ist eine Erörterung wert.
Der wirksame Eigentumsvorbehalt …
Im Falle eines Eigentumsvorbehalts bleibt der Verkäufer auch nach Übergabe der Ware bis zur Bezahlung des Kaufpreises ihr Eigentümer. Dadurch sichert sich der Verkläufer insbesondere für den Fall der Insolvenz des Käufers ab. Gleichzeitig kann der Käufer die Ware (Kaufsache) gleich nutzen.
In technischer Hinsicht passiert Folgendes. Die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts setzt den Eigentumsübergang trotz stattgefundener Übergabe unter die aufschiebende Bedingung der Kaufpreiszahlung. Das Verfügungsgeschäft wird somit aufschiebend bedingt mit der Kaufpreiszahlung abgeschlossen. Durch Bezahlung des Kaufpreises tritt die Bedingung ein. Dadurch erlangt der Käufer Eigentum. Der Eigentumsvorbehalt erlischt (Binder/Spitzer in Schwimann/Kodek, ABGB IV4 § 1063 Rz 17 ff).
… und seine unwirksame Erweiterung („Erweiterter Eigentumsvorbehalt“)
Durch die „Erweiterung“ des Eigentumsvorbehalts möchte der Verkäufer eine Sicherheit nicht bloß für die Kaufpreisforderung („konnexe Forderung“) erlangen. Vielmehr möchte er die Gelegenheit dazu nutzen, auch gleich sonst noch aushaftende Forderungen gegen den Käufer zu besichern. Eigentümer der Kaufsache soll dieser erst werden, wenn er dem Verkäufer nichts mehr schuldet, gleich aus welchem Rechtsgrund. Die Kaufsache wird dadurch zum Sicherungsmittel für sämtliche Schulden des Käufers beim Verkäufer. Insbesondere bei einer ständigen Geschäftsbeziehung ist dies für den Verkäufer erstrebenswert.
Dass ein erweiterter Eigentumsvorbehalt nach österreichischem Zivilrecht unwirksam ist, ist mittlerweile anerkannt. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0020553). So schon der OGH in seiner Entscheidung vom 1.7.1976, 7 Ob 578/76:
„Eine auch als horizontale Fortentwicklung des Eigentumsvorbehaltes bezeichnete Ausdehnung desselben auf andere Forderungen als jene, die der Verkäufer aus dem besonderen Kaufvertrag über die unter Eigentumsvorbehalt verkaufte Sache besitzt, ist wegen des sonst allzu leicht umgehbaren Grundsatzes der Spezialität eines Pfandrechtes demnach nicht zulässig und unwirksam“.
Die Rechtsprechung beschreibt die Erweiterung des Eigentumsvorbehalts hier recht treffend als „horizontale Fortentwicklung des Eigentumsvorbehalts“.
Erweiterter Eigentumsvorbehalt: Unterschied zur deutschen Rechtslage
In dieser Unwirksamkeit liegt ein bedeutsamer Unterschied zur Rechtslage in Deutschland. Dort ist ein erweiterter Eigentumsvorbehalt grundsätzlich möglich, wenn auch mit Einschränkungen.
Dieser Unterschied ist wohl verantwortlich dafür, dass man regelmäßig erkären muss, dass ein erweiterter Eigentumsvorbehalt in Österreich unwirksam ist.
Erweiterter Eigentumsvorbehalt: Das pfandrechtliche Publizitätsprinzip als Ausgangspunkt der Unwirksamkeit
Die zivilrechtliche Literatur verortet den Grund für die Unwirksamkeit im pfandrechtlichen Publizitätsprinzip (§ 451 ABGB) und somit im österreichischen Sachenrecht. Vgl. dazu Binder/Spitzer in Schwimann/Kodek, ABGB IV4 § 1063 Rz 26; Apathy in KBB, ABGB4 § 1063 Rz 8, wobei jeweils verwiesen wird auf Koziol, JBl 1969, 392.
Das Publizitätsprinzip besagt Folgendes: Bei Begründung eines Pfandrechts soll die sachenrechtliche Änderung, also die Beschränkung des Eigentums, offen erkennbar sein. Deshalb werden ein Faustpfand durch Übergabe („Faustpfandprinzip“) und eine Hypothek durch gründbücherliche Einverleibung begründet. Durch die Änderung des Gewahrsams an der Sache wird die Belastung des Eigentums mit dem Pfandrecht für Dritte erkennbar. Eine Täuschung Dritter wird damit vermieden.
Dieses pfandrechtliche Publizitätsprinzip kann nach ständiger Rechtsprechung nicht durch die bloße Wahl einer anderen Rechtsform umgangen werden. Schon wenn die Vertragsparteien in wirtschaftlicher Hinsicht dasselbe Ziel erreichen wollen, gilt das Publizitätsprinzip. Dies hat der OGH insbesondere zur Sicherungsübereignung bestätigt.
„Die Sicherungsübereignung verfolgt wirtschaftlich nichts anderes als eine Pfandbestellung, daher sind – zumal eine gesetzliche Regelung fehlt – die für die Pfandbestellung im Gesetze vorgesehenen Formen der Übergabe einzuhalten“. (RIS-Justiz RS0010394)
Eigentumsvorbehalt vs. Publizitätsprinzip
Bemerkenswerterweise ist der Eigentumsvorbehalt schon an sich mit dem Publizitätsprinzip nicht vereinbar. Denn beim Eigentumsvorbehalt ist es für Dritte gerade nicht erkennbar, dass der Verkäufer noch Eigentümer der Kaufsache ist. Schließlich befindet sich diese bereits im Gewahrsam des Käufers.
Deshalb müsste bei konsequenter Anwendung des Faustpfandprinzips die Kaufsache beim Verkäufer verbleiben, solange er Eigentümer bleiben möchte. Im Ergebnis würde damit der im Wirtschaftsleben weit verbreitete Eigentumsvorbehalt freilich abgeschafft.
Die herrschende Ansicht hält nun im Falle des Eigentumsvorbehaltes eine Ausnahme vom Publizitätsprinzip für gerechtfertigt. Vgl. für viele: Apathy in KBB, ABGB4 § 1063 Rz 8. Dieser Zugang ist in wirtschaftlicher Hinsicht nachvollziehbar und im Ergebnis wohl auch begrüßenswert. In rechtlich-dogmatischer Hinsicht ist dieser Zugang aber zumindest fragwürdig.
Begründung der Ausnahme vom Publizitätsprinzip für den gewöhnlichen Eigentumsvorbehalt
1. Keine Verringerung des Vermögens durch Eigentumsvorbehalt
Hauptsächlich wird die Ausnahme vom Publizitätsprinzip mit der folgenden Überlegung begründet.
Das Vermögen des Käufers werde durch die „verfrühte“ Übergabe der unter Eigentumsvorbehalt stehenden Kaufsache nicht verringert. Hingegen würden etwa bei der Sicherungsübereignung dem Vermögen des Schuldners Gegenstände entzogen, ohne dass dies erkennbar wäre. So insbesondere Koziol, JBl 1969, 393; Apathy in KBB, ABGB4 § 1063 Rz 8.
Warum diese Überlegung nicht für Neugläubiger gelten kann:
Diese Erwägung kann freilich nur für Altgläubiger gelten. Denn aus Sicht eines potenziellen Neugläubigers ist die Täuschungseignung bei den folgenden Gegenständen wohl dieselbe.
- Gegenstände unter Eigentumsvorbehalt, die im Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen schon im Besitz des potenziellen Schuldners, aber noch nicht in seinem Eigentum stehen.
- Gegenstände, die vom potenziellen Schuldners ohne Übergabe „sicherungsübereignet“ wurden, also noch in seinem Besitz, aber nicht mehr in seinem Eigentum stehen.
Man denke etwa an einen Kreditgeber, der erst nach Vornahme des Sicherungsgeschäftes Kredit gewährt und damit seine Forderung erwirbt. Er wird im Falle des Eigentumsvorbehalts den Haftungsfonds des potenziellen Kreditnehmers als Inhaber der Sache überschätzen.
Eine Sicherungsübereignung ohne Publizitätsakt nicht zuzulassen, ist vor diesem Hintergrund nur konsequent. Einen Eigentumsvorbehalt zuzulassen, ist dies hingegen nicht.
Damit möchte ich die wirtschaftliche Notwendigkeit des Eigentumsvorbehaltes nicht leugnen, ich halte nur die dogmatische Begründung für schwach.
So viel zum Neugläubiger. Für ihn kann die Überlegung, das Vermögen des Schuldners sei durch die Inbesitznahme einer unter Eigentumsvorbehalt stehenden Sache in der Vergangenheit nicht verringert worden, keine Rolle spielen.
Und nun zum Altgläubiger:
Weshalb soll gerade die Täuschungseignung die unterschiedliche Handhabe von Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung rechtfertigen können?
Kein gut beratener Altgläubiger wird auf den Fortbestand eines im Zeitpunkt der Krediteinräumung bestehenden Haftungsfonds‘ vertrauen und ohne Bestellung von Sicherheiten Kredit gewähren.
Andernfalls wäre er naiv. Denn dann wäre er ohnehin dazu verdammt, wehrlos zuzusehen, wie der Schuldner diesen Haftungsfonds verringert und verliert. Ob der Schuldner im Zeitpunkt der Krediteinräumung Eigentümer war oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr. Da der Altgläubiger im Regelfall auch keine weiteren Dispositionen treffen wird, der Kredit wurde ja bereits gewährt, ist seine Täuschung zu einem späteren Zeitpunkt nicht von Bedeutung.
Und falls er doch erneut disponiert, etwa in Form einer Stundung, so gilt dasselbe wie für einen Neugläubiger. Weshalb sollte er durch einen Eigentumsvorbehalt weniger getäuscht werden als durch eine Sicherungsübereignung ohne Übergabe?
2. Eigentumsvorbehalt entspricht dem Zug-um-Zug-Prinzip
Außerdem wird zur Rechtfertigung der Ausnahme vom Publizitätsprinzip das Zug-um-Zug-Prinzip bemüht. Der Eigentumsvorbehalt entspreche dem Zug-um-Zug-Prinzip.
Dies trifft zweifellos zu.
Das dispositive, allein die Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Zug-um-Zug-Prinzip allein könnte aber wohl kaum eine Umgehung des Publizitätsprinzips rechtfertigen. Denn das Publizitätsprinzip möchte ja Täuschungen Dritter hintanhalten.
Und im Übrigen könnte der Verkäufer die Kaufsache ja auch bei sich behalten, wenn er auf dem Zug-um-Zug-Prinzip bestehen möchte.
3. Zwischenfazit für den einfachen Eigentumsvorbehalt
Schon die Zulässigkeit des Eigentumsvorbehaltes an sich, also ohne Erweiterung, bereitet zumindest mir in dogmatischer Hinsicht Kopfzerbrechen. Die wirtschaftliche Bedeutung und den wirtschaftlichen Nutzen ziehe ich dabei gar nicht in Zweifel.
Denn der Eigentumsvorbehalt geht auf Kosten potenzieller Neugläubiger. Deren mögliche Täuschung wird zugunsten des Vorbehaltskäufers, der die Kaufsache schon vor Bezahlung nützen möchte, in Kauf genommen.
Mit der strengen Rechtsprechung zur Sicherungsübereignung ist das wohl nur dann vereinbar, wenn man einen Schritt weiter geht. Was, wenn man die Bedürfnisse des täglichen Wirtschaftslebens im Rahmen einer Interessenabwägung miteinfließen lässt?
- Auf der einen Seite: „Tägliches Wirtschaftsleben, Praktikabilität und Interessen der Kaufvertragsparteien“.
- Auf der anderen Seite: „Publizitätsprinzip, also Interessen der potenziell getäuschten Dritten.“
Während das hohe Interesse der Kaufvertragsparteien am Eigentumsvorbehalt evident ist, ist das bei der Sicherungsübereignung weniger offensichtlich. Womöglich liefert diese Interessenabwägung für den Eigentumsvorbehalt ein anderes Ergebnis als für die Sicherungsübereignung oder Verpfändung.
Und womöglich kann diese Betrachtungsweise die Zulässigkeit des einfachen Eigentumsvorbehaltes auch dogmatisch besser darstellen.
Erweiterter Eigentumsvorbehalt vs. Publizitätsprinzip
Nun zurück zum erweiterten Eigentumsvorbehalt: Das Eigentum an der Kaufsache geht erst über, wenn alle Forderungen bezahlt sind.
Wir gehen nun von der oben unter 1. beschriebenen Begründung aus, wenn auch mit Bauchweh. Denn diese entspricht der völlig herrschenden Ansicht.
Nun wird es spannend.
Denn weshalb geht nun gerade die Besicherung auch anderer Forderungen als der Kaufpreisforderungen nun doch wieder zu weit? Das Vermögen des Käufers würde doch auch dadurch nicht verringert?
Auch hier gilt das oben Gesagte. Die künstliche Unterscheidung zwischen Gegenständen, an denen nicht mehr Eigentum besteht und Gegenständen, an denen noch nicht Eigentum besteht, ist nicht sinnvoll. Weshalb sollte der Dritte Letzteres in Kauf nehmen müssen, Ersteres hingegen nicht?
Erweiterter Eigentumsvorbehalt erhöht die Täuschungsgefahr!
Für die Erklärung, weshalb ein erweiterter Eigentumsvorbehalt unwirksam sein muss, ist meines Erachtens vielmehr die folgende Überlegung wesentlich.
Stellen wir uns einen potenziellen Kreditgeber des Vorbehaltskäufers vor. Der Vorbehaltskäufer besitzt eine Kaufsache bereits, ist aber noch nicht ihr Eigentümer. Der potenzielle Kreditgeber möchte nun überprüfen, ob der potenzielle Kreditnehmer Eigentümer der von ihm besessenen Kaufsache ist.
- Im Falle eines einfachen Eigentumsvorbehalts muss er nur prüfen, ob der potenzielle Kreditnehmer die zugrunde liegende Kaufpreisforderung bezahlt hat. Das geht recht schnell.
- Wenn nun aber ein erweiterter Eigentumsvorbehalt wirksam vereinbart werden könnte, dann müsste der potenzielle Kreditgeber eine viel umfassendere Prüfung vornehmen. Konkret müsste er untersuchen, ob der potenzielle Kreditnehmer irgendwann nach der Übergabe der Kaufsache zumindest für einen kurzen Zeitraum dem Verkäufer gar nichts mehr geschuldet hat. Denn erst dadurch hätte der potenzielle Kreditnehmer Eigentum an allen beim Verkäufer gekauften Sachen erlangt. Dass diese Prüfung deutlich mühsamer und schwieriger zu bewerkstelligen wäre, liegt auf der Hand. In diesem Sinne auch Koziol, JBl 1969, 393.
Dass ein erweiterter Eigentumsvorbehalt unwirksam ist, wird gerne auch mit dem Widerspruch zum Zug-um-Zug-Prinzip begründet (§ 1052 ABGB). Allerdings ist das Zug-um-Zug-Prinzip nicht zwingend, sondern dispositiv. Auch wird sein vertraglicher Ausschluss weder als sittenwidrig noch als gröblich benachteiligend angesehen (OGH 2.3.1982, 5 Ob 696/81; OGH 24.11.1998, 1 Ob 277/98m; vgl. auch RIS-Justiz RS0016592). Daher kann diese Begründung nicht überzeugen. Schließlich würde ein erweiterter Eigentumsvorbehalt ja zwischen den Vertragsparteien vereinbart und das Zug-um-Zug-Prinzip damit vertraglich abbedungen.
Zum Schluss: Die Unwirksamkeit auf den Punkt gebracht
Was aber ist nun im Ergebnis der entscheidende Grund dafür, dass ein erweiterter Eigentumsvorbehalt unwirksam, ein einfacher Eigentumsvorbehalt hingegen wirksam ist?
Es sind vor allem die nachvollziehbaren und berechtigten Interessen Dritter in ihrer Rolle als potenzielle Neugläubiger. Diese sollen über die Vermögensverhältnisse des potenziellen Schuldners durch eine Erweiterung des Eigentumsvorbehalts nicht noch leichter getäuscht werden können. Die Täuschungseignung des einfachen Eigentumsvorbehalts ist bereits hoch genug.
Dogmatisch unscharf und unbefriedigend ist es hingegen, die Unwirksamkeit der Erweiterung des Eigentumsvorbehalts allein mit einem „Verstoß gegen das Publizitätsprinzip“ zu begründen. Denn das Publizitätsprinzip verletzt auch der einfache Eigentumsvorbehalt, ohne dass er deshalb gleich als unwirksam angesehen wird.
Gut zu wissen, dass im Falle eines Eigentumsvorbehalts der Verkäufer auch nach Übergabe der Ware bis zur Bezahlung des Kaufpreises ihr Eigentümer bleibt. Da der Käufer die Ware (Kaufsache) gleich nutzen kann, ist es ja ähnlich wie bei der Autopfandleihe. Auch, wenn ich mein Auto verpfände, kann ich es noch weiterhin nutzen.