Internationaler Handelsvertreter: Kann sein Ausgleichsanspruch durch eine Rechtswahl umgangen werden?
Ein internationaler Handelsvertreter, was ist das? Gemeint ist damit ein Handelsvertreter, der in einem anderen Staat ansässig ist als sein Geschäftsherr (Unternehmer).
In diesem Sinne ist der Handelsvertretervertrag oder das Handelsvertreterverhältnis dann international. Und ich nenne dann den Handelsvertreter „internationaler Handelsvertreter“.
Ein internationaler Handelsvertreter stellt sich häufig irgendwann die Frage, welches Recht auf seinen Handelsvertretervertrag anwendbar ist. Und meistens findet sich die Antwort im Handelsvertretervertrag selbst. Denn dieser enthält meist eine Rechtswahl.
Dieser Beitrag geht der folgenden Frage nach. Kann durch eine Rechtswahl auf das Heimatrecht des ausländischen Geschäftsherren der Ausgleichsanspruch eines internationalen Handelsvertreters ausgehebelt werden?
Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters
Gesetzlich geregelt ist der Ausgleichsanspruch in § 24 des österreichischen Handelsvertretergesetzes. Details zu den Anspruchsvoraussetzungen und zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs finden Sie hier. Die analoge Anwendung auf Vertragshändler wird hier näher beschrieben.
Ganz wesentlich ist, dass der Ausgleichsanspruch zwingend ist, also vertraglich nicht abbedungen werden kann.
Daher könnte eine Rechtswahl für einen ausländischen Geschäftsherrn attraktiv sein. Denn wenn sein Heimatrecht einen zwingenden Ausgleichsanspruch nicht kennt, ließe eine Rechtswahl den Ausgleichsanspruch ins Leere gehen.
Internationaler Handelsvertreter: Was kann die Rechtswahl?
Zur Veranschaulichung werden in weiterer Folge die folgenden Annahmen getroffen:
- Ein internationaler Handelsvertreter mit Sitz in Österreich ist für einen Unternehmer (Geschäftsherrn) mit Sitz in den USA tätig.
- Der internationale Handelsvertretervertrag sieht vor, dass das Recht eines US-amerikanischen Bundestaates auf das Handelsvertreterverhältnis anwendbar ist.
Internationaler Handelsvertreter – Hilfe durch den EuGH
Der EuGH hat in seinem bahnbrechenden Urteil in der Rechtssache „Ingmar“ (EuGH 9.11.2000, Rs C-381/98 – „Ingmar“) Folgendes entschieden.
- Die Wahl des Rechts eines Drittstaates (Staat außerhalb der EU) muss von den nationalen Gerichten zwar grundsätzlich anerkannt werden.
- Dies gilt aber nur mit Einschränkungen, wenn das gewählte Recht keinen Ausgleichsanspruch kennt oder aber einen Ausschluss des Ausgleichsanspruchs zulässt.
- Ist dies der Fall, sind statt dem gewählten Recht die Bestimmungen der Artt 17 und 18 der Europäischen Handelsvertreter-Richtlinie anzuwenden.
In diesem Sinne auch die Folgeentscheidung EuGH 17.10.2013, Rs C-184/12 – „Unamar“.
Wie Begründet der EuGH „Ingmar“ und „Unamar“?
Weshalb diese Bestimmungen anzuwenden seien, begründet der EuGH zwar nicht näher. Worauf er abzielt, ist jedoch offensichtlich.
- Artt 17 und 18 der Handelsvertreter-Richtlinie regeln den Anspruch des Handelsvertreters auf Ausgleich oder Entschädigung.
- Die Mitgliedstaaten trifft die Pflicht, die nationale Umsetzungsbestimmung als sog. Eingriffsnorm auszugestalten. Die Eingriffsnorm oder „international zwingende Vorschrift“ („overriding mandatory provision“) regelt Art 9 Rom I-VO. Dies, falls die Umsetzungsbestimmung nicht überhaupt zum „ordre public“ (Art 21 Rom I-VO) des jeweiligen Mitgliedstaats gehört.
- Mit anderen Worten: Die Gerichte eines Mitgliedstaates müssen die nationale Bestimmung über den Ausgleichsanspruch auch dann anzuwenden haben, wenn die Parteien ihr Vertragsverhältnis einem Recht unterwerfen, das einen zwingenden Ausgleichsanspruch nicht kennt.
- Die Mitgliedstaaten trifft also eine Pflicht zur Schaffung einer Eingriffsnorm.
Diese Pflicht der Mitgliedstaaten zur Schaffung einer Eingriffsnorm beruht auf den einschlägigen Bestimmungen in der Handelsvertreter-Richtlinie und somit auf der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Unionsrecht.
Mit dieser Begründung kann daher der österreichischen Vorschrift über den Ausgleichsanspruch (§ 24 Handelsvertretergesetz) nur insoweit der Charakter einer Eingriffsnorm zukommen, als diese Vorschrift den Inhalt der Artt 17 und 18 der Handelsvertreter-Richtlinie ins österreichische Recht implementiert:
- Ein österreichischer Handelsvertreter und ein US-amerikanischer Unternehmer können daher unter Anwendung des Rechts eines US-Bundesstaats sehr wohl vereinbaren, dass dem Handelsvertreter – unter Abweichung von § 24 öHVertrG – ein Anspruch auf Entschädigung (Art 17 Abs 3 Handelsvertreter-Richtlinie) anstelle eines Anspruches auf Ausgleich (Art 17 Abs 2 Handelsvertreter-Richtlinie) zukommen soll.
- Wesentlich ist außerdem, dass die Judikatur des österreichischen Obersten Gerichtshofes, die den Sinngehalt des § 24 HVertrG seit dessen Bestehen geprägt hat, nur so weit zur Eingriffsnorm selbst hinzuzurechnen ist, als diese Judikatur schon durch den Wortlaut des Art 17 Abs 2 der Handelsvertreter-Richtlinie bedingt ist. Somit steht es den Vertragspartnern eines internationalen Handelsvertretervertrages sehr wohl offen, eine von der Judikatur des OGH abweichende Berechnungsweise für den zu gewährenden Ausgleich zu vereinbaren. So, für Deutschland, Semler, Der Ausgleichsanspruch des deutschen Handelsvertreters in internationalen Handelsvertreterverhältnissen – Rechtswahl und Schiedsverfahren, ZVertriebsR 2016, 139, 140.
Internationaler Handelsvertreter – Gerichtsstandvereinbarung als Absicherung der Rechtswahl?
Aus Sicht des Geschäftsherren empfiehlt sich vor dem Hintergrund der Qualifikation des § 24 Handelsvertretergesetz als Eingriffsnorm (Art 9 Rom I-VO) eine Gerichtsstandsvereinbarung. Denn eine passende Gerichtsstandvereinbarung wäre womöglich geeignet, die Wahl des drittstaatlichen Rechts „abzusichern“.
Ein österreichischer internationaler Handelsvertreter und sein US-amerikanischer Geschäftsherre könnten etwa vereinbaren, dass die Gerichte eines US-amerikanischen Bundesstaates ausschließlich zuständig sind und ausschließlich das Recht dieses US-amerikanischen Bundesstaates anzuwenden haben.
Alternativ dazu könnte eine entsprechende Schiedsklausel in den Handelsvertretervertrag aufgenommen werden. Das Schiedsgericht könnte etwa seinen Sitz in den USA und amerikanische Verfahrensregeln anzuwenden haben.
Internationaler Handelsvertreter und Gerichtsstand – Das sagen die deutschen Gerichte
Deutsche Gerichte haben sich mit dieser Konstellation bereits auseinandergesetzt.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.12.2011 bzw. Beschl. v. 16.1.2012, Rn. 4, jeweils Az. 5 U 126/11. Das OLG Stuttgart erklärte die Vereinbarung des Gerichtsstandes Virginia zwischem einem deutschen Handelsvertreter und einem US-amerikanischen Geschäftsherrn für nicht anwendbar. Denn erstens kannte das von den Vertragsparteien gewählte Recht keinen Ausgleichsanspruch. Und zweitens würden die Gerichte des US-Bundesstaates Virginia das zwingende europäische und deutsche Recht nicht zur Anwendung bringen. Sie würden daher die Klage auf den Ausgleichsanspruch abweisen. Mit „zwingend“ meint das OLG Stuttgart offenbar „international zwingend“ im Sinne des Art 9 Rom I-VO.
BGH, Beschl. v. 5.9.2012, VII ZR 25/12. Der BGH hat im Anschluss an diesen Beschluss des OLG Stuttgart einen Nichtannahmebeschluss gefällt. Wie schon das OLG Stuttgart ist der BGH offenbar davon ausgegangen, es könne als sicher gelten, dass die Gerichte in Virginia die Klage des Handelsvertreters abweisen würden.
OLG München, Urt v. 17.5.2006, 7 U 1781/06. Das OLG München ist zum selben Ergebnis gelangt, dies bei ähnlicher Ausgangssituation. Deutscher Handelsvertreter, Geschäftsherr mit Sitz im US-Bundesstaat Kalifornien, Rechtswahl auf Kalifornien, Zuständigkeit kalifornischer Gerichte. Dazu enthielt der Handelsvertretervertrag – nicht stimmig – auch noch eine Schiedsklausel nach den Regeln der American Arbitration Association. Das OLG München hat es aber ausreichen lassen, dass „die naheliegende Gefahr“ besteht, dass „das vereinbarte Gericht des Drittstaates (aus seiner Sicht vertretbar) das zwingende deutsche Recht nicht zur Anwendung bringt“. Und diese Gefahr liege im konkreten Fall nahe. Schließlich spreche aus Sicht eines kalifornischen Gerichtes nichts dagegen, ausschließlich das von den Vertragsparteien gewählte Recht des US-Bundesstaats Kalifornien anzuwenden. Ein Rechtsgutachten zur Frage, wie denn die kalifornischen Gerichte entschieden hätten, hält das OLG Müchen für überflüssig. Auf die (schon an sich hinterfragenswürdige und wohl kaum beabsichtigte) Kombination einer Gerichtsstandvereinbarung mit einer Schiedsklausel komme es nicht an.
Semler hat das Fehlen fester rechtlicher Kriterien für die Beurteilung der Frage kritisiert, ab wann denn nun angenommen werden dürfe, dass die Gerichte eines Drittstaates Art 17 der Handelsvertreter-Richtlinie nicht anwenden würden (Semler, ZVertriebsR 2016, 139, 142). Die Berechtigung dieser Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Für die Zukunft ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates zur Prüfung der Anwendbarkeit einer Gerichtsstandvereinbarung zumindest ein Rechtsgutachten einholen bzw. verlangen.
Internationaler Handelsvertreter – Zusammenfassung und UPDATE
Vor diesem Hintergrund ist von Folgendem auszugehen. Auch österreichische Gerichte werden wohl einer entsprechenden Gerichtsstandvereinbarung die Anerkennung versagen, wenn sie es für wahrscheinlich erachten, dass die gewählten Gerichte § 24 Handelsvertretergesetz trotz seines Charakters als Eingriffsnorm nicht anwenden werden.
Update: Der OGH hat dies in seiner Entscheidung vom 1.3.2017, 5 Ob 72/16y bestätigt:
Einem Handelsvertreter, der überwiegend im Gebiet der Europäischen Union tätig war, steht auch dann ein unabdingbarer Anspruch auf Ausgleichszahlung zu, wenn der Unternehmer seinen Sitz außerhalb der EU hat und der Vertretervertrag die Anwendung außereuropäischen Rechts vorsieht, in dem ein derartiger Anspruch nicht anerkannt wird. Einer darauf lautenden Schiedsklausel ist daher die Anerkennung zu versagen.
Meine nähere Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung, veröffentlicht in der ZVertriebsR 2017, ist hier zu finden.
Internationaler Handelsvertreter – Ausblick
An dieser Stelle sei noch auf eine besondere Konstellation verwiesen.
Der Unternehmer mit Sitz in einem Drittstaat könnte im Bewusstsein der in diesem Beitrag beschriebenen Mechanismen und Rechtsprechung von der im Handelsvertretervertrag enthaltenen Schiedsvereinbarung frühzeitig Gebrauch machen. Womöglich parallel zum Gerichtsverfahren im betroffenen Mitgliedstaat könnte er vor dem Schiedsgericht die Feststellung begehren, dass dem Handelsvertreter kein Ausgleich zusteht. Wenn, wie zu erwarten, das Schiedsverfahren kürzer dauert als das Gerichtsverfahren im betroffenen Mitgliedstaat, dann muss der Schiedsspruch von den Gerichten womöglich respektiert werden. Es sei denn, Art 17 der Handelsvertreter-Richtlinie wäre nicht bloß Eingriffsnorm, sondern Teil des „ordre public“. Ausführlich zur Problematik und zu den möglichen Folgen: Semler, ZVertriebsR 2016, 139, 143 f.
Abschließend nochmals die Hinweise: