Beweislastverteilung im Verfahren über den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters

OGH 24.5.2016, 8 ObA 59/15g

In dieser Entscheidung äußert sich der OGH zur Verteilung der Beweislast im Verfahren über einen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 24 Handelsvertretergesetz. (vgl. auch diesen grundlegenden Beitrag zu Anspruchsvoraussetzungen und Berechnung). Die beiden Kläger sind die Erben einer Tankstellenpächterin, durch deren Tod der Tankstellenpachtvertrag aufgelöst wurde. Dem Grunde nach ist der Ausgleichsanspruch unstrittig, nur in der Höhe ist man uneinig.

In zwei Instanzen wird dem Klagebegehren in vollem Umfang statt gegeben. Der OGH lässt die außerordentliche Revision der Beklagten zu, um eine Klarstellung in Bezug auf die Beweislastverteilung vornehmen zu können. Die Beklagte hat nämlich gerügt, es würden Feststellungen darüber fehlen, inwieweit die „neuen“ Kunden der verstorbenen Tankstellenpächterin nicht bereits vor Beginn des Pachtvertrages Kunden der Beklagten waren (vgl. dazu auch OGH 6 Ob 54/16h).

 

Grundregel für die Behauptungs- und Beweislast

Der OGH ruft in Erinnerung (Urteil, Punkt 4.2), dass mangels gesetzlicher Spezialregeln über die Beweislast jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Normen behaupten und beweisen muss.

Daher müsse laut OGH der Handelsvertreter (bzw dessen Erben) beweisen, dass er dem Unternehmer tatsächlich neue Stammkunden zugeführt hat. Dass nun aber ein Teil dieser neuen Stammkunden in Wahrheit bereits vor Beginn des Handelsvertreterverhältnisses Stammkunden des Unternehmers waren, also sog. „Altkunden“ des Unternehmers sind, müsse der Unternehmer – und nicht der Handelsvertreter oder Tankstellenpächter – behaupten und beweisen. Der OGH bestätigt insoweit die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes.

 

Tatbestandsmerkmal „neue Kunden“

Zur Begründung dieses Standpunktes muss der OGH freilich untersuchen, was unter den „neuen Kunden“ zu verstehen ist, deren Zuführung § 24 Handelsvertretergesetz verlangt und die daher als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal zu qualifizieren sind, dessen Vorliegen nach der soeben beschriebenen Grundregel selbstverständlich der Anspruchssteller beweisen muss.

In diesem Zusammenhang nimmt der OGH Bezug auf den EuGH in seinem Urt. v. 7. April 2016, C-315/14, „Marchon“: Art 17 Abs 2 der Richtlinie 86/653/EWG sei in einer Weise auszulegen, die zum Schutz des Handelsvertreters beiträgt und seine Verdienste vollständig berücksichtigt. So darf der Begriff des „neuen Kunden“ nicht eng ausgelegt werden. Der OGH beruft sich auf eine europarechtlich geforderte „handelsvertreterfreundlichste Normauslegung“. Aufgrund dieser Auslegungsmaxime komme der Tankstellenpächter der ihm obliegenden Behauptungs- und Beweispflicht hinreichend nach, wenn er behauptet und beweist, dass und in welchem Ausmaß er der Tankstelle Stammkunden zugeführt hat. Dass es sich dabei tatsächlich um „Altkunden“ des Unternehmers handelt, muss hingegen Letzterer behaupten und beweisen, zumal dieser an diesem Beweis „näher dran“ sei.

Im konkreten Fall hat die Beklagte keine konkreten Behauptungen aufgestellt, welcher Anteil der „neuen Kunden “ als „Altkunden“ der Beklagten zu qualifizieren sei. Auch Beweisanträge hat die Beklagte keine gestellt. Insofern kann laut OGH auch kein Feststellungsmangel vorliegen.

 

Würdigung

Der OGH vertritt den Standpunkt, dass schon die Anwendung des allgemeinen Beweislastverteilungsgrundsatzes, wonach jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen beweisen muss, zum oben beschriebenen Ergebnis führt, weil die handelsvertreterfreundliche Auslegung, die der EuGH vorschreibt, dazu führt, dass unter den „neuen Kunden“ neue Kunden der Tankstelle zu verstehen sind (Urteil, Punkt 4.2, letzter Absatz). Dieser Ansatz überzeugt nicht:

  • § 24 Abs 1 Z 1 Handelsvertretergesetz knüpft den Ausgleichsanspruch daran, dass der Handelsvertreter dem Unternehmer neue Kunden zugeführt hat. Dass damit neue Kunden des Unternehmers und nicht neue Kunden des Handelsvertreters gemeint sind, hat der OGH selbst vor kurzem erneut bekräftigt (OGH 6 Ob 54/16h).
  • Ausschließlich für die Zwecke der Beweislastverteilung möchte der OGH die „neuen Kunden“ nun aber offenbar als neue Kunden der konkreten Tankstelle verstehen. Folglich läge auch nur insoweit ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal vor, das der Tankstellenpächter zu beweisen hätte.
  • Diese Sichtweise ist inkonsequent. Der OGH weiß selbst, dass mit den „neuen Kunden“ neue Kunden des Unternehmers gemeint sind, und nicht neue Kunden der Tankstelle. Dass der Tankstellenpächter dem Unternehmer neue Kunden zugeführt hat, muss er daher auch behaupten und beweisen. Dass der Tankstellenpächter einfach nur behauptet und beweist, dass es sich bei einem Kunden für ihn um einen neuen Kunden handelt, ist zu wenig.

Im Ergebnis mag die Entscheidung des OGH womöglich dennoch richtig sein: Die überragende Nähe des Unternehmers zum Beweis, dass es sich bei einigen vermeintlich „neue Kunden“ um sogenannte „Altkunden“ handelt, ist nicht zu übersehen. Gerade diese Nähe zum Beweis wird im Zusammenhang mit einer Beweislastumkehr regelmäßig ins Treffen geführt.

Alternativ dazu könnte man den Handelsvertreter aber auch auf seinen zivilprozessualen Auskunftsanspruch nach § 184 ZPO verweisen. Die Verletzung der in dieser Bestimmung festgelegten sog. Darlegungsobliegenheit des näher am Beweis befindlichen Unternehmers könnte den Tatrichter dazu veranlassen, bestimmte Behauptungen des Tankstellenpächters für wahr zu halten (RIS-Justiz RS0119925), etwa die Behauptung, es handelt sich bei neuen Kunden der Tankstelle auch tatsächlich um neue Kunden des Unternehmers, also um „neue Kunden“ im Sinne des § 24 Abs 1 Z 1 Handelsvertretergesetz. Dieser Zugang wäre im größtmöglichen Maße konsequent und würde keine – vom Gesetz nicht vorgesehene – Beweislastverteilung erfordern. Die Interessen des Handelsvertreters blieben ausreichen gewahrt. Schließlich würde sich damit auch die nicht stimmige Argumentation des OGH erübrigen, wonach das Tatbestandsmerkmal der „neuen Kunden“ im Sinne des § 24 Abs 1 Z 1 Handelsvertretergesetz für die Frage nach der Beweislastverteilung anders verstanden wird (neue Kunden der Tankstelle) als für die Bemessung des Ausgleichsanspruches selbst (neue Kunden des Unternehmers).

 

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