OLG Frankfurt a.M. zum Verbot von Drittplattformen: Amazon Marketplace und Preisvergleichstools

OLG Frankfurt a.M. 22.12.2015, 11 U 84/14 – „Rucksäcke“

Der Rucksackhersteller Deuter unterhält in Deutschland ein selektives Vertriebssystem. In den Händlerverträgen wird den Vertragshändlern untersagt, die Rucksäcke über „Internet- und Auktionsplattformen“ zu vertreiben. Eine Vertragshändlerin (die Klägerin) war damit zwar grundsätzlich einverstanden, behielt sich aber für den Amazon Marketplace eine Ausnahme vor. Daraufhin stellte Deuter (die Beklagte) die Belieferung ein.

Die Klägerin nahm dies zum Anlass, die Deuter darauf gerichtlich in Anspruch zu nehmen, es zu unterlassen, die Belieferung davon abhängig zu machen, dass die Klägerin die Produkte nicht über den Amazon Marketplace vertreibt.

Darüber hinaus hatte das Gericht zu entscheiden, ob Deuter seinen Vertragshändlern untersagen darf, die Rucksäcke in Preissuchmaschinen (z.B. www.billiger.de oder für Österreich etwa www.geizhals.at) zu listen.

 

Ausgangssituation – „marktstarke“ Stellung

Unstreitig war die „marktstarke“ Stellung (§ 20 GWB) der Beklagten aufgrund einer sortimentsbedingten Abhängigkeit der Klägerin (entspricht im Wesentlichen § 4 Abs 3 öKartG). Das OLG Frankfurt a.M. als Berufungsgericht erkannte allerdings kein missbräuchliches Verhalten der marktstarken Beklagten. Da eine Diskriminierung der Klägerin nicht festgestellt werden konnte – einzelne Rucksäcke waren zwar am Amazon Marketplace erhältlich, allerdings ohne Zustimmung der Beklagten – kam nur ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in Form einer sog. unbilligen Behinderung in Betracht. Das Verbot, den Amazon Marketplace zu nutzen, behindert die Klägerin in ihren Absatzmöglichkeiten. Ob diese Behinderung unbillig und damit unzulässig, weil missbräuchlich ist, hatten die Gerichte unter umfassender Abwägung der gegenläufigen Interessen zu prüfen (Urteil, Rn. 34, vgl. ZVertriebsR 2/2016, 125).

 

1. Zum Verbot des Amazon Marketplace:

Keine Verpflichtung zur Unterstützung „kleiner Händler“

Bemerkenswert ist bei dieser Interessenabwägung durch das OLG Frankfurt a.M. zunächst der klarstellende Hinweis, dass ein Hersteller berechtigt ist, seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet (Urteil, Rn 35). Das Verbot des Amazon Marketplace ist daher nicht schon deshalb unbillig, weil die Nutzung des Amazon Markeplace dazu beitragen könnte, die Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin (als „kleiner Händlerin“) im Vergleich zu den großen Handelsketten, die von der Beklagten ebenfalls beliefert werden, zu erhöhen (ausdrücklich im Widerspruch zum Bundeskartellamt in dessen Hintergrundpapier zu den vertikalen Beschränkungen in der Internetökonomie vom 10.10.2013, S. 25).

Die Beklagte kann – und diese unmissverständliche Aussage ist bemerkenswert – daher nicht zu einer aktiven Förderung des Wettbewerbs kleiner und mittlerer Unternehmen im online-Handel durch Zulassung eines Verkaufs über Amazon verpflichtet werden, wenn dies den Grundsätzen einer im Übrigen wettbewerbsrechtlich zulässigen Vertriebspolitik zuwiderläuft, auch wenn gerade der Amazon Marketplace für viele „kleine Händler“ eine der wenigen kostengünstigen Möglichkeiten sei, die Reichweite und Präsenz zu erhöhen.

Hier sei nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M. von Bedeutung, dass sich die Beklagte für ein selektives Vertriebssystem entschieden habe und dass Amazon nicht Mitglied dieses Vertriebssystem sei, dass aber für den Endverbraucher, der am Amazon Marketplace Waren erwirbt, die Person des tatsächlichen Verkäufers selbst dann völlig nebensächlich sei, wenn er aufgrund juristischer Vorbildung weiß, dass Amazon nicht der Verkäufer, sondern nur der Vemittler ist. Denn wahrgenommen werde vor allem Amazon als schneller, günstiger und zuverlässiger Händler. Der Beklagten würde daher ein Händler „untergeschoben“, hielte man sie für verpflichtet, den Verkauf ihrer Waren durch ihre Vertragshändler über den Amazon Marketplace zu tolerieren (Rn. 39).

Diese Argumente nimmt das OLG Frankfurt a.M. als Ausgangspunkt für seine weitere Prüfung, ob die Beklagte bei der Gestaltung ihres Absatzsystems die „durch das Kartellrecht gezogenen Grenzen“ (Urteil, Rn. 40) überschritten hat.

 

Zulässigkeit des selektiven Vertriebssystems aus zwei Gründen

Nach ausführlicher Bezugnahme auf die herrschende Rechtsprechung und die Rechtsansicht der Europäischen Kommission und des Bundeskartellamts zu selektiven Vertriebssystemen betont das OLG Frankfurt a.M., dass das Einrichten eines selektiven Vertriebssystems aus unterschiedlichen Gründen gerechtfertigt sein kann, ohne den Wettbewerb zu beschränken.

  1. Bei den Rucksäcken der Beklagten wird zunächst im Hinblick auf die hohe Anzahl an Modellen für unterschiedliche Anwendungsbereiche ein besonderer Bedarf des Verbrauchers an Beratung, Kundendienst oder Reparaturservice bejaht (Urteil, Rn. 45).
  2. Außerdem untersucht das Gericht, ob den Rucksäcken der Beklagten ein Produktimage zukommt, dass durch den Selektivvertrieb geschützt werden kann und sollte. Es hat zwar offenbar erhebliche (und berechtigte) Zweifel, dass Rucksäcken eine Aura der gehobenen Exklusivität als Produkteigenschaft über die bloße Funktionalität hinaus zukommt und verweist dabei auf die Werbeunterlagen der Beklagten. Allerdings erkennt das Gericht die Bewahrung des guten Rufes ihrer Rucksäcke als Möglichkeit der Beklagten, eine hohe Produktqualität zu signalisieren, was schlussendlich dem Wettbewerb und den Endverbrauchern zugute komme: Die Hersteller hochwertiger Ware hätten ein Interesse, den Endverbrauchern die überdurchschnittliche Qualität ihrer Ware glaubwürdig zu vermitteln, weil die Endverbraucher ansonsten gut daran täten, stets das billigste Produkt zu kaufen. Die Signalisierung der gehobenen Qualität ist daher gerade dort geboten, wo der Verbraucher die Qualität selbst kaum beurteilen kann, wie insbesondere beim Erwerb länger und intensiver genutzter Produkte (wie Rucksäcken). In diesem Punkt folgt das OLG Frankfurt a.M. den lesenswerten und überzeugenden Ausführungen von Franck (Zum Schutz des Produktimages im selektiven Vertrieb, WuW 2010, 772, 781 f), der unter Verweis auf die einschlägige ökonomische Literatur und zum besseren Verständnis zudem noch deutlich macht, dass gerade der kostenintensive Schutz eines hochwertigen Produtimages aus Sicht der Endverbraucher ein glaubhaftes Signal für hohe Qualität sein könne, weil die damit verbundenen Kosten versunkene Kosten seien und ein Hersteller, der keine hohe Qualität liefern könne, vor diesen Kosten zurückschreckt. Schließlich sei bereits ein schlechtes Testergebnis oder eine schlechte Erfahrung des Verbrauchers geeignet, das mühevoll und teuer aufgebaute Produktimage zu zerstören.

Von den an anderer Stelle dargestellten 3 Gründen, mit denen sich ein vertragliches Verbot von Drittplattformen kartellrechtlich rechtfertigen lässt, nimmt das OLG Frankfurt a.M. im konkreten Falls somit 2 als grundsätzlich vorliegend an.

 

Verbot des Amazon Marketplace als zulässiges Kriterium?

Untersucht werden muss nun, ob das Verbot, den Amazon Marketplace zu nutzen, zur Sicherung der Beratungsqualität und zur Signalisierung einer hohen Produktqualität erforderlich ist:

 

Beratungsbedarf:

Beim Beratungsbedarf ist von Bedeutung, dass beim Internetvertrieb die Beratung schon naturgemäß eingeschränkt ist, was für sich allein aber noch kein Totalverbot des Internetvertriebs rechtfertigt. Daher muss die am Amazon Marketplace gebotene Beratung mit jener Beratung verglichen werden, die der Vertragshändler – gemäß den einschlägigen Bestimmungen im Händlervertrag – für seinen eigenen Online-Shop auf seiner Website bereit stellen muss (Urteil, Rn. 55).

Im konkreten Fall verlangt die Beklagte einen Hinweis auf das stationäre Ladengeschäft mit Öffnungszeiten und Telefonnummer und auf die Möglichkeit, sich dort Produkte anzusehen und sich beraten zu lassen, sowie die Einrichtung und Unterhaltung eines qualifizierten Online-Help- und Beratungsdesks. Am Amazon Marketplace findet sich nichts Vergleichbares. Dass ein Endverbraucher, der am Amazon Marketplace einkaufen möchte, zusätzlich noch die Website des jeweiligen Händlers besucht, ist unwahrscheinlich.

Aufgrund dieser Erwägungen ist daher das Verbot der Nutzung des Amazon Marketplace notwendig, um ein dem Produkt der Beklagten angemessenes Niveau an Beratung sicherzustellen.

Dazu drei bemerkenswerte Beobachtungen:

  1. Es ist aus Sicht der Hersteller von Waren mit Beratungsbedarf, die Drittplattformen verbieten möchten, entscheidend, dass sie in ihren Händlerverträgen klare und eindeutige Anforderungen an die im Online-Shop des Händlers zu erbringende Beratung stellen. Diese Anforderungen müssen selbstverständlich sachlich gerechtfertigt und zur Sicherstellung des angemessenen Niveaus an Beratung notwendig sein.
  2. Wesentlich ist außerdem, dass ein generelles Drittplattformverbot Risiken mit sich bringt, die leicht vermieden werden könnten. Die Zulässigkeit eines Drittplattformverbotes aufgrund des Beratungsbedarfes misst sich nämlich stets an der konkreten Ausgestaltung der in Rede stehenden Drittplattform. Ein generelles Drittplattformverbot ist daher überschießend, es sei denn, der Hersteller könnte für sämtliche Drittplattformen pauschal ausschließen, dass sie dasselbe Niveau an Beratung wie ein händlereigener Online-Shop sicherstellen könnten. Fraglich bleibt, mit welchen Erwägungen er dies vorab für sämtliche Drittplattformen – auch für erst in der Zukunft entstehende – vermuten könnte. Geraten werden muss daher zu einer abschließenden Aufzählung jener Drittplattformen, deren Nutzung nicht zugelassen wird, allenfalls mit einem Änderungsvorbehalt des Herstellers.
  3. Schließlich darf man gespannt sein, wie Amazon auf diese Begründung reagiert. Es wäre naheliegend, würde Amazon versuchen, den vom OLG Frankfurt a.M. geforderten Gleichklang mit der Beratung auf den händlereigenen Online-Shops herzustellen.

 

Signalisierung einer hohen Produktqualität:

Das OLG Frankfurt a.M. ist nicht nur der Ansicht, dass der Amazon Marketplace das zulässigerweise im Bereich des Internetvertriebs geforderte Niveau an Beratung nicht erreiche, sondern dass der Auftritt des Amazon Marketplace auch nicht geeignet sei, eine hohe Produktqualität zu signalisieren (Urteil, Rn. 56): Die „einheitliche Darstellung aller Produkte gleich welcher Art und Qualität lässt keinen Raum für eine Differenzierung, die das Markenimage zum Ausdruck bringt“. Im konkreten Fall des Amazon Marketplace könne eine solch Differenzierung auch nicht (wie etwa bei Preissuchmaschinen) auf der Ebene eines bei Amazon eingerichteten „Händlershops“ erfolgen, weil das Amazon-Logo und die entsprechenden Verlinkungen auch dort alles überlagern.

 

Ergebnis zum Verbot des Amazon Marketplace

Insgesamt ist das Verbot, den Amazon Marketplace zum Vertrieb der Rucksäcke zu nutzen, daher als zulässiges Kriterium innerhalb eines nicht wettbewerbsbeschränkenden selektiven Vertriebssystems zu sehen.

 

2. Zum Verbot der Preisvergleichstools:

Restriktiv gehandhabter Zustimmungsvorbehalt = Verbot

Die Beklagte hatte in ihre Händlerverträge zwar kein generelles Verbot der Preissuchmaschinen (Preisvergleichstools) aufgenommen, sich aber die Zustimmung dazu vorbehalten. Die Klägerin bat für acht Preissuchmaschinen um die entsprechende Erlaubnis, welche die Beklagte aber unter bloßem Verweis auf ihren Händlervertrag pauschal veweigert hatte. Daraus schloss das OLG Frankfurt a.M., dass „die Beklagte jedenfalls eine äußerst restriktive Genehmigungspraxis betreibt“. Offenbar konnte die Beklagte im Verfahren auch nicht darlegen, unter welchen Umständen sie eine Preissuchmaschine überhaupt genehmigt hätte (Urteil, Rn. 66). Insofern betrachtete das OLG Frankfurt a.M. den Zustimmungsvorbehalt als Verbot der Nutzung von Preissuchmaschinen.

 

Unbillige Behinderung der Klägerin in ihren Absatzmöglichkeiten

Ausgehend von der marktstarken Stellung der Beklagten aufgrund der sortimentsbedingten Abhängigkeit der Klägerin (Urteil, Rn. 30) prüften die Gerichte, ob diese restriktive Handhabe des Zustimmungsvorbehalts als missbräuchlich zu werten sei. Ins Treffen geführt wurde vom OLG Frankfurt a.M. neben der vermutlich diskriminierenden Vorgangsweise (bei großen Händlern wurde eher „ein Auge zugedrückt“ als bei kleinen Händlern wie der Klägerin) insbesondere eine unbillige Behinderung der Klägerin:

Auch das Verbot des Amazon Marketplace als Drittplattform bedeutete eine Behinderung der Klägerin, allerdings keine unbillige und daher keinen Missbrauch der marktstarken Stellung. Im Gegensatz zu jenem Verbot ist das Verbot von Preissuchmaschinen weder zur Sicherstellung eines angemessenen Beratungsniveaus noch zur Aufrechterhaltung des Produktimages erforderlich:

  1. Bei den von der Klägerin genannten acht Preissuchmaschinen wird der Besucher, der sich für ein Angebot näher interessiert, direkt auf die Website des jeweiligen Händlers geleitet.
  2. Der Besucher weiß, dass die Preissuchmaschinen nicht dem Verkauf selbst dienen (nicht so beim Amazon Marketplace, zumindest nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M:), sondern nur dem Auffinden von Händlern, die das vom Besucher gesuchte Produkt anbieten.
  3. Es schadet nicht, dass der Besucher in der Regel gleich auf die Bestellseite des Händlers umgeleitet wird und nicht auf die Startseite, auf der die in den Händlerverträgen geforderten beratenden Hinweise enthalten sind. Schließlich sei die Hauptseite nur einen Klick entfernt.
  4. Die Beklagte hatte eingewendet, dass durch die Anhäufung von gleichförmigen Produktabbildungen und Preisangaben beim Interessenten der monotone Eindruck einer massenhaften Verfügbarkeit entstehe, was dem Produktimage schade. Dem hat das Gericht entgegengehalten, dass mit der Marke Deuter kein „Luxusimage“ verbunden werde. Vielmehr stehe das Image der Marke Deuter für eine Signalisierung hoher Produktqualität. Diese Signalisierung werde nun aber nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass dem Interessenten vor Augen geführt werde, dass diese Produkt bei einer Vielzahl von Händlern erhältlich sei. Letzteres dürfte im Allgemeinen bekannt sein.

Das OLG Frankfurt a.M. hält völlig zutreffend fest, dass es durchaus zulässig sein kann, gegen die Nutzung einzelner Preissuchmaschinen vorzugehen, sollte dies im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung derselben tatsächlich erforderlich sein, um das Signal hoher Produktqualität zu schützen oder ein angemessenes Niveau an Beratung sicherzustellen. Ein pauschales Verbot kann dafür hingegen nicht erforderlich sein.

 

Keine Freistellung durch die Vertikal-GVO

Schließlich hat das OLG Frankfurt a.M. noch darauf hingewiesen, dass das Preissuchmaschinenverbot nicht gruppenfreigestellt sein kann, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass ihr Marktanteil bei unter 30% liege (wie es Art 3 Vertikal-GVO verlangt). Die vorgenommene Marktabgrenzung („Markt für Funktionsrucksäcke“ als Resultat der sortimentsfixierten Sichtweise der Händler) ist nicht zu beanstanden. Das Ergebnis (Marktanteil von über 30% mangels substantiierten gegenteiligen Vorbringens) ebenso wenig.

 

Spannungsverhältnis zwischen Freistellung vom Kartellverbot und dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung?

Sowohl bei der Erörterung des Verbots des Amazon Marketplace als auch bei der Erörterung des Verbots der Preissuchmaschinen fällt Folgendes auf.

Zum für zulässig erkannten Verbot des Amazon Marketplace: Aus der Zulässigkeit einer vertraglichen Vereinbarung nach den Bestimmungen des Kartellverbots (Art. 101 AEUV) folgt im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems noch nicht zwangsläufig, dass die die Klägerin in ihren Absatzmöglichkeiten unstreitig behindernde Maßnahme nicht als missbräuchliches Verhalten qualifiziert wird. Einen Unterlassungsanspruch könnte ja auch nur Letzeres begründen, und nicht schon der Verstoß gegen die Vertikal-GVO durch die Beklagte allein. Es geht dabei um die höchst umstrittene Frage, ob ein Verhalten, dass vom Kartellverbot des Art. 101 Abs 1 AEUV (gruppen)freigestellt ist, womöglich dennoch als einseitiges Verhalten den Tatbestand des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung verwirklichen kann (sog. „deutsche Klausel“ gemäß Art 3 Abs 2 Satz 2 der Verfahrens-VO Nr. 1/2003; vgl. dazu näher Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht I, 12. Auflage, § 19 GWB Rn. 236 ff), also um das problematische Spannungsverhältnis zwischen Art. 101 Abs 1 AEUV und § 4 Abs 3 öKartG (bzw § 20 GWB).

Freilich wird eine die Vertragshändler in ihren Absatzmöglichkeiten behindernde Maßnahme, die im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems aus bestimmten Gründen (Sicherstellung von Beratung und Signalisierung hoher Produktqualität) zulässig ist, womöglich aus genau denselben Gründen auch die Behinderung der Vertragshändler (im Sinne des Art 102 AEUV) rechtfertigen können. Insoweit würden sich die Umsetzung des Kartellverbots und die Missbrauchskontrolle dann wieder im Gleichschritt bewegen.

Zum für unzulässig erkannten Verbot der Preissuchmaschinen: Das OLG Frankfurt a.M. geht offenbar stillschweigend davon aus, ein missbräuchliches Verhalten des Anbieters (Herstellers), also der Beklagten, nämlich die unbillige Behinderung der Klägerin, durch die Vertikal-GVO freigestellt und damit nicht nur vom Anwendungsbereich des Kartellverbots (Art. 101 AEUV) ausgenommen sein könnte, sondern auch seinen Charakter als missbräuchlich (§§ 19, 20 GWB) verlieren würde! Denn verfahrensgegenständlich war ein auf einem behaupteten missbräuchlichen Verhalten beruhender Unterlassungsanspruch, der vom OLG Frankfurt a.M. am Maßstab der Vertikal-GVO geprüft wurde.

Mit dieser stillschweigenden und nicht näher begründeten Annahme umgeht das OLG Frankfurt a.M. auch bei dieser zweiten Frage dogmatisch unsauber eine Auseinandersetzung mit der  grundsätzlichen Frage, wie sich die Gruppenfreistellung einer wettbewerbsbeschränkenden Vertragsklausel auf die Prüfung dieser Vertragsklausel als womöglich missbräuchlich im Sinne des Art. 102 AEUV (§ 19 GWB) auswirkt. Kann sich ein Marktbeherrscher (bzw. ein marktstarker Unternehmer nach § 20 GWB bzw. § 4 Abs 3 öKartG) darauf berufen, dass seine Vertragsklauseln nicht missbräuchlich sein können, weil sie durch die Vertikal-GVO freigestellt sind? Für eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren musste diese Frage freilich nicht beantwortet werden, weil die Vertikal-GVO aufgrund eines zu hohen Marktanteils der Beklagten ohnehin nicht anwendbar war und auch für eine Einzelfreistellung (Art. 101 Abs 3 AEUV bzw. § 2 GWB) keine Anhaltspunkte vorlagen.

 

 

Ausblick

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Revision beim BGH unter der Az. KZR 3/16 anhängig. Man darf gespannt sein, inwieweit der BGH die Erwägungen des OLG Frankfurt a.M. teilt.

UPDATE: Die Revision wurde offenbar zurückgezogen. Der BGH wird sich daher zu diesem Fall leider nicht äußern können.

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