Gewährleistung und Regress in der Vertriebskette
Mangelhafte Ware unterliegt der Gewährleistung durch den Verkäufer (Einzelhändler). Dieser wird sich dann in aller Regel bei seinem Lieferanten schadlos halten wollen. Das Ziel heißt Regress (auch „Rückgriff“). Denn der Mangel war wohl schon bei der Übernahme der Ware vom Lieferanten vorhanden.
Dieser Beitrag untersucht die Gewährleistung in der Vertriebskette (Absatzkette).
Der Mangel, der Regress und das Fristenproblem
Neben dieser Vertriebskette oder Absatzkette ist der zweite Ausgangspunkt der Mangel der Ware.
Der Endkunde wendet sich an seinen Verkäufer. Die Frist für die Gewährleistung für bewegliche Ware beträgt zwei Jahre (§ 933 ABGB). Der Verkäufer leistet Gewähr und wendet sich dann an seinen Lieferanten. Er nimmt Regress. Der Lieferant ist der „Vormann in der Absatzkette“.
So weit, so gut.
Was aber, wenn die Ware lange „gelegen“ ist und der Endverbraucher seine Rechte aus der Gewährleistung erst gegen Fristende geltend macht? Dann ist die zweijährige Gewährleistungsfrist des Einzelhändlers im Verhältnis zum Vormann womöglich bereits verstrichen.
Zumindest begrenzte Abhilfe verspricht der sog. „Besondere Rückgriff“ in der Vertriebskette gemäß § 933b ABGB.
Besonderer Regress: Die Bestimmung des § 933b ABGB
Die Bestimmung des § 933b ABGB beruht auf der Europäischen Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (und zwar auf deren Artikel 4) und hat seit 1.1.2022 nunmehr den folgenden Wortlaut:
Besonderer Rückgriff
§ 933b. (1) Hat ein Unternehmer einem Verbraucher Gewähr geleistet, so kann er von seinem Vormann, sofern auch dieser Unternehmer ist, auch nach Ablauf der Fristen des § 933 die Gewährleistung fordern. Dasselbe gilt für frühere Übergeber im Verhältnis zu ihren Vormännern, wenn sie selbst wegen der Gewährleistungsrechte des letzten Übernehmers ihrem Nachmann Gewähr geleistet haben. Der Anspruch ist mit den dem Übergeber aus dessen Gewährleistungspflicht entstandenen Nachteilen beschränkt.
(2) Hat der Übergeber durch Verbesserung oder Austausch Gewähr geleistet, so umfasst sein Anspruch nach Abs. 1 auch den Ersatz des ihm durch die Verbesserung oder den Austausch entstandenen Aufwands, sofern er unverzüglich nach Bekanntgabe des Mangels durch den Übernehmer seinen Vormann zur Herstellung des mangelfreien Zustands aufgefordert hat und der Vormann dieser Aufforderung nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachgekommen ist.
(3) Ansprüche nach Abs. 1 verjähren drei Monate nach Erfüllung der eigenen Gewährleistungspflicht, spätestens aber fünf Jahre, nachdem der Rückgriffspflichtige seine Leistung erbracht hat. Die Verjährung wird durch eine Streitverkündigung für die Dauer des Rechtsstreits gehemmt.
(4) Eine Vereinbarung, mit der ein Anspruch nach Abs. 1 ausgeschlossen oder beschränkt wird, ist nur verbindlich, wenn sie im Einzelnen ausgehandelt worden ist und den Übergeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles nicht gröblich benachteiligt.
Besonderer Rückgriff in der Gewährleistung: Entfall der Bestimmung über die Gewährleistungsfrist
Was bestimmt nun der erste Absatz des § 933b ABGB? Die Gewährleistungsfrist gilt im vertikalen Zuliefererverhältnis nicht, wenn der „letzte Unternehmer“ dem Endverbraucher Gewähr leisten musste.
Im Vergleich zur allgemeinen Gewährleistungsfristenregelung begünstigt diese Bestimmung den Einzelhändler. Sie belastet hingegen meist den Hersteller, manchmal aber auch den Großhändler.
Kein ersatzloser Entfall der Gewährleistungsfristen
Das bedeutet nun nicht, dass der Gewährleistungsanspruch des Abnehmers seinem Lieferanten gegenüber überhaupt kein Ablaufdatum hat. In seinem Absatz 2 setzt § 933b ABGB in zeitlicher Hinsicht zwei Schranken:
- Zunächst muss der Verkäufer den Anspruch gegen seinen Vormann innerhalb von nur zwei Monaten ab der Erfüllung der eigenen Gewährleistungspflicht geltend machen.
- Außerdem gilt eine absolute Verjährungsfrist von fünf Jahren, und zwar ab Erbringung der Leistung des jeweiligen Vormannes. Deshalb kann der Hersteller nach Ablauf von fünf Jahren ab seiner Lieferung an den Großhändler davon ausgehen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Der Großhändler kann nach Ablauf von fünf Jahren ab seiner Lieferung an den Einzelhändler davon ausgehen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
Im Ergebnis bewirkt somit § 933b ABGB eine Verlängerung der Gewährleistungsfrist von zwei Jahren auf fünf Jahre. Allerdings muss der Anspruchsberechtigte den Anspruch auf Regress nach Erfüllung der eigenen Gewährleistungspflicht innerhalb von zwei Monaten geltend machen.
Beschränkung der Höhe nach
Außerdem hat der Gesetzgeber im letzten Satz des § 933b Abs 1 ABGB eine betragliche Begrenzung des besonderen Rückgriffs vorgesehen. Auf § 933b ABGB gestützt kann niemand mehr verlangen, als er selbst zur Erfüllung seiner Gewährleistungspflichten aufwenden musste.
Das bedeutet zum einen, dass reine Kulanzleistungen, denen keine entsprechende Pflicht zugrunde lag, nicht zum besonderen Rückgriff berechtigen. Das bedeutet zum anderen, dass der Abnehmer auch dann, wenn er nach allgemeinem Gewährleistungsrecht einen höheren Anspruch hätte, auf Grundlage von § 933b ABGB nur das von seinem Lieferanten fordern kann, was er selbst dem Endabnehmer (bzw. seinem Vormanne) zu leisten verpflichtet war und tatsächlich geleistet hat.
Gewährleistung und Regress: Was § 933b ABGB nicht ist
Für das Verständnis von § 933b ABGB ist Folgendes wesentlich. Die Bestimmung über den besonderen Rückgriff beschränkt sich darauf, die Regelung über die Gewährleistungsfrist gemäß § 933 ABGB in einer ganz bestimmten Konstellation außer Kraft zu setzen (genau genommen: zu ersetzen). Hingegen wurde damit keine eigene Anspruchsgrundlage für einen Anspruch gegen den Vormann geschaffen. Deshalb ist kein Rückgriff gegen den Vormann möglich ist, wenn der Vormann gar nicht mangelhaft geleistet hat.
Denkbar ist in diesem Zusammenhang etwa, dass der Abnehmer („letzter Unternehmer“) und sein Vormann die Pflicht zur Gewährleistung wirksam abbedungen haben. Dann ist selbstverständlich auch kein Regress möglich.
Freilich wäre ein solcher Ausschluss der Gewährleistung auf gröbliche Benachteiligung und Sittenwidrigkeit zu prüfen. Schließlich hätte dies aufgrund der Unabdingbarkeit des Gewährleistungsanspruchs im Verbrauchergeschäft (§ 9 KSchG) zur Folge, dass der Einzelhändler für die Mangelhaftigkeit der Ware endgültig einzustehen hat.
Streitverkündung verhindert Fristablauf
Ein gerichtlich auf Gewährleistung in Anspruch genommener Unternehmer kann sich vor einem Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist für den Regress schützen, indem er seinem Vormann den Streit verkündet. Dadurch wird diese Verjährungsfrist gehemmt, allerdings nur diesem Vormann gegenüber. Der Vormann dieses Vormannes kann sich hingegen weiterhin auf die fünfjährige Verjährungsfrist berufen. Ihm gegenüber tritt keine Hemmung ein, der Anspruch auf Regress kann insoweit verjähren (P. Bydlinski in KBB4, § 933b Rz 10).
Je nach Einzelkonstellation bewirkt § 933b ABGB daher womöglich nur, dass ein Händler auf einer höheren Handelsstufe als der Einzelhandelsstufe auf dem finanziellen Schaden, der aus der Mangelhaftigkeit der Ware folgt, sitzen bleibt. Wer am Ende zwar selbst noch Opfer des Regresses seines Nachmannes wird, hingegen beim Vormann wegen Fristablaufes nicht mehr Regress nehmen kann, ist dann häufig Zufall.
Insbesondere bei langen Streitigkeiten über die Gewährleistungsfrist und bei mehreren Handelsstufen ist die Wahrscheinlichkeit recht gering, dass der Hersteller, dessen Sphäre der Mangel in vielen Fällen entspringt, überhaupt je dafür einstehen muss.
Aus Sicht eines Händler – egal auf welcher Handelsstufe – entscheidend ist daher eine Prüfung, ob die eigene fünfjährige Verjährungsfrist schon verstrichen ist. Gegebenenfalls muss er eine Streitverkündung in Betracht ziehen, um den besonderen Rückgriff nach § 933b ABGB nicht zu verlieren.
Ausschluss des besonderen Rückgriffs: Ist der Regress abdingbar?
Für Hersteller oder Großhändler kann es sinnvoll sein, die Geltung von § 933b ABGB dem Abnehmer gegenüber vertraglich auszuschließen. Als Ergebnis würde für den Regress wieder die gewöhnliche zweijährige Frist für die Gewährleistung gelten. Der Lieferant könnte schon deutlich früher davon ausgehen, dass er keine Ansprüche aus der gesetzlichen Gewährleistung mehr zu befriedigen hat.
Der besondere Rückgriff nach § 933b ABGB ist nicht zwingend und somit grundsätzlich abdingbar.
Aber ist ein solcher vertraglicher Ausschluss nicht gröblich benachteiligend oder gar sittenwidrig (§ 879 ABGB)? Rechtsprechung dazu fehlt bislang. Allerdings werden im Verhältnis zwischen Unternehmern weitaus schlimmere Eingriffe in die Gewährleistung als zulässig eingeordnet wird (vgl. Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 Rz 115 f). Deshalb ist kaum zu erwarten, dass Gerichte einen Ausschluss des § 933b ABGB als unwirksam beurteilen würden.
Dabei sind zwei Überlegungen zu berücksichtigen.
- Erstens geht es nur um die Verkürzung der Verjährungsfrist verschuldensunabhängiger Ansprüche im Vergleich zum dispositiven Recht von fünf Jahren auf zwei Jahre.
- Zweitens kann sogar der Ausschluss verschuldensabhängiger Ansprüche zur Gänze (Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit) zum Teil wirksam vereinbart werden (vgl. dazu RIS-Justiz RS0016582, etwa OGH 7 Ob 200/05w).
Weiterführend zum Thema "Vertriebskette" oder "Absatzkette"
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