OGH als Kartellobergericht: Vertikale Preisabsprachen im Lebensmittelhandel

OGH 8.10.2015, 16 Ok 2/15b

Vor wenigen Monaten sorgte der OGH als Kartellobergericht für Schlagzeilen, weil er über mehrere Gesellschaften des SPAR-Konzerns eine Geldbuße in Höhe von € 30 Mio. verhängte. Die vom OLG Wien als Kartellgericht erster Instanz verhängte Geldbuße wurde dadurch verzehnfacht.

Die von den Kartellgerichten festgestellte Wettbewerbsbeschränkung selbst geriet angesichts dieser spürbar erhöhten Geldbuße in den Hintergrund der Berichterstattung. Wenngleich die OGH-Entscheidung in vielerlei Hinsicht lesenswert ist, soll an dieser Stelle allein der Kartellrechtsverstoß selbst mit wenigen Worten umschrieben werden.

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Der Begriff der „Preisabsprache“

Eine Preisabsprache liegt nach dem OGH jedenfalls dann vor, wenn eine Absprache über Mindestpreise, Preisintervalle, Preisaufschläge oder Preisabzüge erfolgt. Aber auch die Koordinierung der Höhe oder des Zeitpunkts einer Preissteigerung ist eine Preisabsprache. Dasselbe gilt für die Abstimmung von Margen, Rabatten, Kreditbedingungen und Richtpreisen.

Auch die sogenannten Meistbegünstigungsklauseln sind wettbewerbsbeschränkende Preisbindungen, und zwar durch die Nachfrager, die ihre Lieferanten verpflichten, keinem anderen Abnehmer günstigere Konditionen zu gewähren. Dasselbe gilt für den Fall, dass sich der Lieferant verpflichtet, im Falle von günstigeren Konditionen an einen Konkurrenten des Abnehmers dieselben günstigeren Konditionen auch dem Abnehmer selbst zu gewähren.

Zulässig sind nur rein unverbindliche Preisempfehlungen.

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Die vertikale Preisabsprache

Preisabsprachen zwischen Anbieter und Abnehmer („vertikal“) haben laut OGH ein hohes Potenzial negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb. Entsprechend sind vertikale Preisbindungen auch Kernbeschränkungen gemäß Art 4 lit a der Vertikal-GVO.

Der OGH verweist außerdem auf die Vertikal-Leitlinien der Kommission, wonach vertikale Verkaufspreisabsprachen auch auf indirektem Weg durchgesetzt werden können, etwa durch Abmachungen über Absatzspannen. Die Kommission beurteilt es als besonders schädlich, wenn die vertikale Preisabsprache so weit geht, dass sie die Kollusion zwischen den konkurrierenden Abnehmern begünstigt, weil dies die Gefahr eines erhöhten Preisniveaus auf Verbraucherebene nach sich zieht (Rn 224).

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Die konkrete Vorgangsweise

Festgestellt wurde, dass es zumindest zwischen Juli 2002 und März 2012 im Rahmen von Einkaufspreisverhandlungen zwischen SPAR und den Lieferanten von Molkereiprodukten regelmäßig und flächendeckend zu Absprachen über die von SPAR den Endverbrauchern verrechneten Verkaufspreise kam. Davon umfasst waren insbesondere auch Aktionspreise. Hintergrund war, dass SPAR den Lieferantenwünschen nach höheren Einkaufspreisen stets die so bezeichnete „Margenneutralität“ entgegnete, was bedeutete, dass höhere Einkaufspreise nur möglich wären, wenn auch der Verkaufspreis, den SPAR von seinen Kunden verlangt, entsprechend erhöht werden kann. Um dies zu ermöglichen, sollten die Lieferanten jeweils „empfohlene Verkaufspreise“ als Richtpreise festsetzen und diese auch den Konkurrenten von SPAR (insbesondere dem REWE-Konzern) kommunizieren, damit diese die Erhöhung des Verkaufspreises mittragen konnten. Die Lieferanten mussten zum Beweis regelmäßig Kassabons und Preisspiegel der SPAR-Konkurrenz vorlegen. Der Forderung von SPAR wurde in der Regel auch Folge geleistet: Es kam regelmäßig zu Verkaufspreisanpassungen auch bei den SPAR-Konkurrenten.

Untermauern konnte das Erstgericht diese Feststellungen mit zahlreichen E-Mails, wonach etwa die vereinbarten (Einkaufs-)Preiserhöhungen nur unter der Voraussetzung gelten, dass im gesamten österreichischen Lebensmitteleinzelhandel die Verkaufspreise zumindest auf das Niveau der empfohlenen Verkaufspreise angehoben werden. Es läge im Interesse sowohl von SPAR als auch des Lieferanten, dass Letzterer „endgültig eine Preisdiszplin“ bei einem bestimmten Mitbewerber herstelle, damit über „solche Dinge“ nicht mehr diskutiert werden muss. Wenn ein Zeuge unterschiedlich hohe Verkaufspreise als „Wettbewerbsverzerrungen“ bezeichnet und davon spricht, er sei um „Marktberuhigung“ bemüht gewesen, zeugt dies von einem höchst problematischen Verständnis des freien Wettbewerbs.

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Rechtliche Würdigung

Der Fall ist nicht alltäglich. Interessant ist vor allem der Mechanismus: Der „kleine“ Lieferant möchte vom „großen“ SPAR einen höheren Preis, Letzerer akzeptiert aber keine Schmälerung seiner Marge. Für den Lieferanten heißt das: Ein höherer Preis an SPAR setzt voraus, dass der Endverbraucher mehr bezahlt. Das wird er nur tun, wenn auch die Konkurrenz von SPAR mitzieht. Der Lieferant muss daher ein einheitliches Preisniveau „organisieren“, damit ihm SPAR mehr bezahlt. Er „empfiehlt“ Endverbraucherpreise, an die sich SPAR hält und die SPAR mit einem höheren Einkaufspreis belohnt, wenn sich auch die SPAR-Konkurrenten daran halten.

Dass es sich dabei um eine vertikale Preisabsprache und um ein wettbewerbsbeschränkendes „Hardcore-Kartell“ handelt, ist offensichtlich. Bemerkenswert ist, dass die vertikale Preisabsprache genau zu jener Kollusion zwischen den Wettbewerbern geführt hat, die die Kommission als besonders schädlich einstuft. Freilich war im vorliegenden Fall die vertikale Preisabsprache ja nur deshalb möglich, weil gleichzeitig auch die Konkurrenten die Preise erhöhten, wenn der Lieferant dies kommunizierte. Dass dieselben vertikalen Preisabsprachen mit allen Lebensmitteleinzelhandelsketten stattfanden, war somit offenbar von Beginn an beabsichtigt.

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1 Kommentar zu „OGH als Kartellobergericht: Vertikale Preisabsprachen im Lebensmittelhandel“

  1. Die Preisabsprachen finden leider oft statt, wenn man die großen Unternehmen nicht kontrolliert. Besonders oft kommt es bei Lebensmittel-Industrie vor. Ich lese jetzt ein Buch über die Kommission, die sich mit dem Wettbewerbsversagen als Verkaufspreisabsprachen beschäftigt. Danke für den Beitrag über die Kartelle.

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