OGH: Unverhältnismäßigkeit eines markenrechtlichen Auskunftsbegehrens wegen drohender Marktabschottung

OGH 17.11.2015, 4 Ob 170/15a

In dieser bemerkenswerten Entscheidung hat sich der OGH damit auseinander gesetzt, ob es dem Markeninhaber und Organisator eines selektiven Vertriebssystems möglich sein soll, ein Leck im selektiven Vertriebsnetz mit Hilfe des markenrechtlichen Auskunftsanspruches zu finden und zu stopfen.

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist die Inhaberin der Marken an einem italienischen Parfum und unterhält in Österreich ein selektives Vertriebssystem für dieses Parfum. Die Beklagte ist eine bekannte Handelskette mit 370 Filialen in Österreich und keine Vertragshändlerin, hat das Parfum der Klägerin aber dennoch im Angebot. Gegen diese Unterwanderung ihres selektiven Vertriebsnetzes durch die Beklagte will die Klägerin vorgehen.

Über den Lieferanten der Beklagten ist nur bekannt, dass es sich um einen Großhändler mit Sitz im EWR handelt. Der Beklagten ist bewusst, dass ihr Lieferant den mit der Klägerin abgeschlossenen Händlervertrag verletzt, gibt seine Identität aber nicht preis und schützt so ihre Bezugsquelle.

Der Großhändler liefert an die Beklagte überwiegend Parfumfläschchen, die bereits mit Zustimmung der Klägerin im EWR in Verkehr gebracht worden sind und an denen die Erschöpfung der Markenrechte dadurch bereits eingetreten ist. Im Zuge von Testkäufen hat die Klägerin bei der Beklagten aber ein Fläschchen Parfum gefunden, an dem nachweislich noch keine Erschöpfung eingetreten war.

 

Begehren

Die Klägerin begehrte die auf § 14 UWG und § 51 Markenschutzgesetz gestützte Unterlassung des Verkaufs weiterer Parfums und die auf § 55a Markenschutzgesetz gestützte Auskunft über den Vertriebsweg jener Parfums, an denen eine markenrechtliche Erschöpfung noch nicht eingetreten war.

 

Entscheidung

Dem Unterlassungsbegehren hinsichtlich jener Exemplare, an denen das Markenrecht noch nicht erschöpft war, wurde in erster Instanz stattgegeben (§ 51 Markenschutzgesetz). Insoweit handelte es sich um einen klassischen Markenrechtseingriff durch unzulässigen Parallelimport von Originalware von außerhalb des EWR. Dieser Spruch ist wenig überraschend unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.

Das auf das UWG gestützte Unterlassungsbegehren hinsichtlich jener Exemplare, an denen das Markenrecht bereits erschöpft war, wurde in erster Instanz abgewiesen. Auch dieser Spruch ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen. Nachvollziehbar ist dies im Hinblick darauf, dass das bloße Ausnützen des fremden Vertragsbruches nach mittlerweile gesicherter Rechtsprechung des OGH nicht unlauter ist (RIS-Justiz RS0107766, RS0079374; Wiltschek/Horak, UWG8 § 1 E 1094. ff; Schmid in Wiebe/Kodek [Hrsg], UWG² § 1 Rz 856). Die Klägerin konnte der Beklagten also nicht untersagen, die Parfums weiterhin zu beziehen, soweit es sich um Exemplare handelte, die mit Zustimmung der Klägerin bereits im EWR in Verkehr gebracht worden waren.

Nun wollte die Klägerin mit Hilfe eines „Kunstgriffs“ von der Beklagten zumindest die Offenlegung der Bezugsquelle erzwingen: Da die Beklagte durch den Vertrieb zumindest eines Fläschchens Parfum, welches erwiesenermaßen ohne Zustimmung der Klägerin von außerhalb des EWR reimportiert worden war, Markenrechte der Klägerin verletzt hatte, begehrte die Klägerin Auskunft über den Vertriebsweg:

§ 55a Markenschutzgesetz

Wer in einer der ihm aus einer Marke zustehenden Befugnisse verletzt worden ist, kann Auskunft über den Ursprung und die Vertriebswege der rechtsverletzenden Waren und Dienstleistungen verlangen, sofern dies nicht unverhältnismäßig im Vergleich zur Schwere der Verletzung wäre (…).

Dieses Auskunftsbegehren wurde in allen drei Instanzen abgewiesen.

Der OGH hat zwar bestätigt, dass ein Auskunftsanspruch grundsätzlich auch bei unzulässigen Parallelimporten von Originalware (und nicht nur von Fälschungen) bestehe (vgl. dazu Schachter in Kucsko/Schumacher [Hrsg], marken.schutz² § 55a Rz 23 ff.), allerdings hat der OGH die Auskunftserteilung im gegenständlichen Falle für unverhältnismäßig erachtet, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Durch die Offenlegung des Vertriebswegs der Beklagten würde eine Marktabschottung begünstigt, weil deren Bezugsquelle aufgrund der zu erwartenden rechtlichen Schritte der Klägerin versiegen würde. Dazu sogleich.
  2. Der Markeneingriff sei von geringer Intensität gewesen: Lediglich eine Flasche Parfum (womöglich auch eine Kiste solcher Flaschen) an nicht erschöpfter Originalware sei verkauft worden. Das mag stimmen, kann aber auch daran liegen, dass solche Verstöße in der Regel durch nur begrenzt durchführbare Testkäufe aufgedeckt werden.
  3. Die Klägerin könne ihren Abnehmern außerhalb des EWR die vertragliche Verpflichtung auferlegen, einen Reimport in den EWR zu unterlassen. Der festgestellte Markeneingriff könne so unterbunden werden. Dieses Argument überzeugt nicht, weil eine vertragliche Verpflichtung in vielen Fällen nicht respektiert wird, worin gerade der Zweck des Auskunftsanspruchs zu sehen ist.
  4. Für die Beklagte sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich bei der Ware um nicht erschöpfte Originalware gehandelt hatte. Auch das mag stimmen, hingegen war es für den Lieferanten der Beklagten womöglich sehr leicht erkennbar. Der Auskunftsanspruch möchte dem in seinen Markenrechten Verletzten die Rechtsverfolgung ja gerade gegen eine andere Person als den bekannten Letztverkäufer ermöglichen. Den Auskunftsanspruch dann unter Hinweis auf das geringe Verschulden des Letztverkäufers zu verneinen, ist inkonsequent.

Im Ergebnis ist die Klägerin aus diesen Erwägungen mit ihrem Versuch gescheitert, mit den Rechtsbehelfen des Markenschutzgesetzes Auskunft über das Leck in ihrem selektiven Vertriebsnetz zu erlangen, also die Identität des vertragsbrüchigen Vertragshändlers zu erfahren.

 

Würdigung der Abweisung des Auskunftsbegehrens

Zunächst macht die Begründung des OGH deutlich, dass der Auskunftsanspruch nach § 55a Markenschutzgesetz in anders gelagerten Konstellationen durchaus eine Möglichkeit bieten kann, die Bezugsquelle eines netzfremden Händlers aufzudecken: Der OGH hat betont, dass ihn erst all die oben aufgezählten Erwägungen gemeinsam – hingegen ausdrücklich keine dieser Erwägungen für sich genommen – zur Abweisung des Auskunftsbegehrens bewogen haben. Der Umstand allein, dass die begehrte Auskunft dem Markeninhaber wohl vor allem bei der Verteidigung seines selektiven Vertriebssystems (Stichwort „Marktabschottung“) behilflich wäre, hätte demgegenüber nicht zu einer Abweisung des Auskunftsbegehrens geführt.

Im Übrigen kann die Argumentation des OGH nicht überzeugen:

Entgegen der Ansicht des OGH begünstigt die Offenlegung der Bezugsquelle der Beklagten und die zu erwartende Verteidigung des qualitativ-selektiven Vertriebssystems durch die Klägerin keine Abschottung der nationalen Märkte. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Frage ist hier zu finden. An dieser Stelle sei nur bemerkt, dass jeder netzfremde Händler (also auch die Beklagte) Mitglied des Vertriebsnetzes werden kann, wenn er die objektiv notwendigen Standards erfüllt. Zudem müssen Querlieferungen innerhalb eines selektiven Vertriebsnetzes grenzüberschreitend zulässig sein. Andernfalls ist das Vertriebssystem nicht nur wettbewerbsbeschränkend, sondern auch nicht gruppenfreigestellt: Das Verbot von Querlieferungen ist eine Kernbeschränkung gemäß Art 4 lit d Vertikal-GVO 330/2010. Es bedarf daher keiner Parallelimporte, um grenzüberschreitende Lieferungen zu ermöglichen. Der OGH beruft sich auf den BGH (I ZR 52/10) und auf Hacker (in Ströbele/Hacker, Markengesetz11 § 24 Rz 44). Weshalb im Falle eines selektiven Vertriebssystems eine Marktabschottung begünstigt würde, wenn netzfremde Händler ihre Bezugsquelle offenlegen müssen, wird dort allerdings nicht erläutert.

Im Selektivvertrieb sind grenzüberschreitende Lieferungen zwingend erlaubt. Ein Schutz des in Markenrechte eingreifenden und händlervertragswidrigen Parallelimports ist weder notwendig noch berechtigt.

Da durch die begehrte Auskunftserteilung keine Marktabschottung begünstigt worden wäre, hätte diese Erwägung des OGH im Zuge der von § 55a Markenschutzgesetz verlangten Verhältnismäßigkeitsprüfung außer Acht bleiben müssen.

Von den vier oben genannten Argumenten des OGH für die angenommene Unverhältnismäßigkeit der Auskunftserteilung erweisen sich somit zumindest drei als nicht stichhaltig, weshalb die Auskunftserteilung wohl als verhältnismäßig beurteilt hätte werden müssen. Im Regelfall überwiegt nämlich – wie der OGH selbst erwähnt hat – auch beim Vertrieb nicht erschöpfter Originalware das Interesse des Markeninhabers an der Offenlegung des Vertriebswegs gegenüber dem Interesse des Verletzers an dessen Geheimhaltung (BGH I ZR 27/03; Hacker in Ströbele/Hacker, Markengesetz11 § 19 Rz 39).

Die Entscheidung des OGH überzeugt daher weder in der Begründung noch im Ergebnis.

 

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