Der Anspruch einer Kfz-Werkstatt auf Abschluss eines Werkstattvertrages – Der BGH widerspricht der Kommission

Was folgt aus BGH KZR 6/09 „MAN‑Vertragswerkstätten“?

Die Europäische Kommission ist der Ansicht, dass ein Hersteller/Generalimporteur von Kraftfahrzeugen gegen das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV verstößt, wenn er einer Werkstatt trotz Erfüllung der objektiven Mindestanforderungen den Abschluss einen Werkstattvertrags verweigert. Die Hintergründe dieser Rechtsansicht haben wir hier erörtert.

An dieser Stelle soll nun die in zentralen Punkten gegenläufige Entscheidung BGH 30.3.2011, KZR 6/09 („MAN‑Vertragswerkstätten“), durchleuchtet werden, die aufgrund der Ablehnung des von der Kommission vertretenen Kontrahierungszwangs durch den BGH in Fachkreisen intensiv diskutiert wurde.

 

Die Marktabgrenzung des BGH in „MAN-Vertragswerkstätten“

Die Klägerin in der Rechtssache BGH KZR 6/09 war eine Daimler‑Vertragswerkstatt. Die Beklagte war eine Tochtergesellschaft der Herstellerin von Nutzfahrzeugen der Marke „MAN“ und hatte der Klägerin den Abschluss eines MAN‑Werkstattvertrages verweigert. Die Klägerin klagte auf Zulassung als MAN-Vertragswerkstatt, also auf Abschluss eines MAN-Werkstattvertrages und berief sich darauf, dass sie alle von den zugelassenen MAN-Vertragswerkstätten geforderten Mindestanforderungen (Standards) ebenfalls erfüllte.

Der BGH grenzte im Zuge seiner Beurteilung den relevanten Markt nicht markenspezifisch ab und kam darauf aufbauend zu völlig anderen Ergebnissen als die Kommission:

Der BGH hielt zunächst fest, dass der für die Bewertung des Marktanteils der Beklagten relevante Bedarfsmarkt jener vorgelagerte Markt sei, auf dem sich die Beklagte und die Klägerin gegenüberstünden. Dies entspricht dem von der Kommission bei der Prüfung der Anwendbarkeit der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (Nr. 330/2010, „Vertikal-GVO“) postulierten Zugang (Leitlinien für vertikale Beschränkungen, 2010/C 130/01, „Vertikal-LL“). Zur Erinnerung: Überschreitet entweder der Anbieter oder der Abnehmer auf dem relevanten Markt einen Marktanteil von über 30%, dann kommt die Vertikal-GVO nicht mehr zur Anwendung. Der BGH prüfte den Marktanteil im gegenständlichen Fall freilich nicht, um als Kartellwächter die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO zu prüfen, sondern vor allem deshalb, um eine eventuelle Marktbeherrschung der Beklagten feststellen zu können. Die Abgrenzung des relevanten Marktes ist freilich für beide Fragen gleichermaßen relevant.

Der BGH betrachtet im Verhältnis Hersteller-Werkstatt den sog. Ressourcenmarkt und deckt damit die Schwachstelle in der Abgrenzung des relevanten Marktes durch die Europäische Kommission auf.

Dieser relevante Markt umfasse nun laut BGH alle Ressourcen, die sich eine Werkstatt von der Beklagten beschaffen müsse, um am nachgelagerten Endkundenmarkt Kundendienstleistungen an Nutzfahrzeugen der Marke „MAN“ zu erbringen und entsprechende Ersatzteile zu vertreiben. Diese Ressourcen seien

  1. Ersatzteile, Diagnosegeräte und Spezialwerkzeuge,
  2. die Vermittlung der erforderlichen Fachkenntnisse und
  3. die Zulassung als Vertragswerkstatt.

Die von der Klägerin begehrte Zulassung als Vertragswerkstatt sei daher nur eine von mehreren Ressourcen, die zur Erbringung von Leistungen auf dem nachgelagerten Markt notwendig seien. Im Übrigen sei die Zulassung als Vertragswerkstatt nicht für die Erbringung von Kundendienstleistungen und den Vertrieb von Ersatzteilen schlechthin erforderlich, sondern nur für die Erbringung von Garantie-, Kulanz- und Rückrufleistungen. Alle anderen Kundendienstleistungen könne die Klägerin auch ohne Zulassung als Vertragswerkstatt, also als freie Werkstatt, anbieten.

Nach Ansicht des BGH könnten nicht als Vertragswerkstatt zugelassene Werkstätten eben keine Garantie-, Kulanz- und Rückrufleistungen an ihre Endkunden anbieten. Der Betrieb der Werkstatt werde dadurch allein aber nicht automatisch unwirtschaftlich oder sinnlos. Vielmehr stehe es jeder nicht als Vertragswerkstatt zugelassenen Werkstatt frei, von den Garantie-, Kulanz- und Rückrufleistungen verschiedenen Kundendienstleistungen an Fahrzeugen der jeweiligen Marke anzubieten.

Die Zulassung als Vertragswerkstatt sei daher keine Ressource, die für den Zugang zum nachgelagerten Endkundenmarkt unerlässlich ist. Sie ist vielmehr nur für eine auf dem Endkundenmarkt angebotenen Leistung unerlässlich, nämlich für Garantie- und Rückrufleistungen. Für eine marktbeherrschende Stellung sei dies zu wenig. Da aufgrund der markenübergreifenden Marktabgrenzung auch der Marktanteil von MAN deutlich unter 30% liege, könne eine marktbeherrschende Stellung auch nicht mit einem hohen Marktanteil begründet werden.

Der BGH verweist die Werkstätten auf ihre Möglichkeit, abseits von Garantiereparaturen andere Kundendienstleistungen zu erbringen.

 

Ergebnis des BGH

Mangels marktbeherrschender Stellung konnte auch kein Anspruch der Klägerin auf Zulassung als Vertragswerkstatt bejaht werden.

Im Übrigen betonte der BGH, dass sich ein Anspruch auf Zulassung als Vertragswerkstatt nicht aus der GVO selbst ergeben könne (vgl dazu bereits OGH 4 Ob 119/09t und 3 Ob 33/13v), sondern allenfalls aus dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.

Den Boden entzogen hat der BGH durch seine Abkehr von der markenspezifischen Abgrenzung der Kfz-Anschlussmärkte nicht nur dem von Werkstätten regelmäßig ins Treffen geführten Anspruch auf Zulassung als Vertragswerkstatt, sondern gleichzeitig auch der kartellrechtlichen Anforderung der Kommission an die Kfz-Hersteller/Generalimporteure, im Bereich „Aftersales“ nur qualitativ zu selektieren.

Sowohl der behauptete Anspruch der Werkstätten auf Abschluss eines Werkstattvertrages als auch die behauptete Kartellrechtswidrigkeit einer quanitativen Selektion im Bereich „Aftersales“ beruhen ja auf dem außerordentlich hohen Anteil sämtlicher Kfz-Hersteller/Generalimporteure auf den relevanten Märkten, dem wiederum die markenspezifische Marktabgrenzung zugrunde liegt.

 

Würdigung der Entscheidung „MAN-Vertragswerkstätten“

Der BGH hat in KZR 6/09 („Urteil“) eine marktbeherrschende Stellung der beklagten MAN-Tochtergesellschaft verneint. Eine solche marktbeherrschende Stellung hätte sich aus einem ausreichend hohen Marktanteil (Urteil, Rz 22, dazu Punkt 1. sogleich) oder daraus ergeben können, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin über eine derart hohe „relative Marktmacht“ verfügt bzw. den Markt insoweit „relativ beherrscht“ (§ 4 Abs 3 öKartellgesetz), dass die Verweigerung des Werkstattvertrages der Klägerin einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil zugefügt hätte (Urteil, Rz 20, dazu Punkt 2. weiter unten).

 

1. Marktabgrenzung

Für den Marktanteil ist die Marktabgrenzung entscheidend. Dass der BGH dabei den vorgelagerten Markt – also den Ressourcenmarkt (Nolte in Langen/Bunte, Kartellrecht II12 Nach Art. 101 AEUV Rn 951; Wegner/Oberhammer, WuW 2012, 367) – betrachtet, ist überzeugend und entspricht auch der von der Kommission in anderen Bereichen geübten Praxis (Vertikal-LL, Rn 89). Demgegenüber bleibt die Kommission eine Begründung schuldig, weshalb sie nur im Bereich der Kfz-Anschlussmärkte auf die Substituierbarkeit aus Sicht der Endverbraucher abstellen möchte (zu den rechtspolitischen Gründen: Nolte in Langen/Bunte, Kartellrecht II12 Nach Art. 101 AEUV Rn 940). Seit dem Außerkrafttreten der Kfz-GVO Nr. 1400/2002, in deren Art 8 Abs 1c der GVO 1400/2002 das Abstellen auf die Sicht der Endkunden noch ausdrücklich geregelt war, entbehrt diese Herangehensweise einer Rechtsgrundlage (so auch Wegner/Oberhammer, WuW 2012, 366 ff; Nolte in Langen/Bunte, Kartellrecht II12 Nach Art. 101 AEUV Rn 940). Mangels Nachfolgebestimmungen in den nun geltenden GVO ist aufgrund des Wortlautes von Art 3 Vertikal-GVO und der Vertikal-LL, Rn 89, vielmehr davon auszugehen, dass die Substituierbarkeit aus Sicht der jeweiligen Abnehmer entscheidend ist. Das sind im konkreten Fall die Werkstätten.

Der BGH trägt in weiterer Folge dem Umstand Rechnung, dass die Verhältnisse auf dem nachgelagerten Endverbrauchermarkt dennoch zu berücksichtigen sein können, etwa wenn bestimmte Ressourcen für die Werkstätten unerlässlich sind, um am Endverbrauchermarkt zu bestehen (Urteil, Rz 12). Dies schließt eine Substituierbarkeit dieser Ressource aus Sicht der Werkstätten dann nämlich wohl jedenfalls aus.

Nach Ansicht des BGH sei die Zulassung als Vertragswerkstatt nun aber gerade nicht unerlässlich, um am Endverbrauchermarkt Kundendienstleistungen anzubieten. Schließlich würden nur Garantie-, Kulanz- und Rückrufleistungen unmittelbar an der Zulassung als Vertragswerkstatt hängen und könne jede Werkstatt auch ohne Erbringung dieser Leistungen am Endverbrauchermarkt bestehen.

Im Ergebnis überzeugt der Ansatz des BGH, als relevanten und daher abzugrenzenden Markt den Ressourcenmarkt zu betrachten, auf dem sich Hersteller und Werkstätten gegenüberstehen (so auch Nolte in Langen/Bunte, Kartellrecht II12 Nach Art. 101 AEUV Rn 947 ff). Die Kommission wird insoweit gehalten sein, ihre systemwidrige Rechtsansicht zu revidieren oder zumindest zu begründen.

 

2. Marktbeherrschung aufgrund überragender Marktstellung

Für die Frage, ob die Abweisung eines alle Standards erfüllenden Bewerbers um eine Zulassung als Vertragswerkstatt gegen das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV verstößt, ist die Marktabgrenzung entscheidend, weil davon die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO abhängt (30%-Schwelle des Art 3 Vertikal-GVO).

Aus Sicht des Bewerbers um die Zulassung als Vertragswerkstatt ist es allerdings zweitrangig, ob der Hersteller gegen das Kartellverbot verstößt oder nicht, weil er aus einem solchen Verstoß allein keinen Anspruch auf Abschluss eines Werkstattvertrages ableiten kann. Der Bewerber wird sich daher auf die marktbeherrschende Stellung des Herstellers und den daraus folgenden Kontrahierungszwang stützen.

Diese marktbeherrschende Stellung kann nun zum einen aus dem hohen Marktanteil des Herstellers am relevanten Markt folgen. Dies ist der Grund, weshalb der BGH eine Marktabgrenzung vornehmen musste (siehe soeben Punkt 1.). Zum anderen kann diese marktbeherrschende Stellung aber auch aus der überragenden Stellung des Herstellers im Vergleich zu seinen Abnehmern folgen (Konzept der „relativen Marktmacht“ gemäß § 20 dGWB bzw. der „relativen Marktbeherrschung“ gemäß § 4 Abs 3 öKartellgesetz), und zwar unabhängig von der Frage der Kartellrechtskonformität gemäß Art 101 Abs 1 AEUV (Art 3 Abs 2 VO Nr. 1/2003, sog. „deutsche Klausel“, vgl. dazu Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht I12 § 19 GWB Rn 240).

Am Ende wird sich auch bei der Prüfung einer relativen Marktmacht die Frage stellen, inwieweit die Ressource „Zulassung als MAN-Vertragswerkstatt“ aus Sicht des Abnehmers unerlässlich ist, wobei jetzt – und darin liegt der große Unterschied zu Punkt 1. – auf die Sicht der Klägerin und nicht auf die Sicht der zugelassenen MAN-Vertragswerkstätten als tatsächliche Abnehmer abzustellen ist.

Wenn die Klägerin als Daimler-Vertragswerkstatt die Zulassung als MAN-Vertragswerkstatt verlangt, so liegt nahe, dass die Zulassung als MAN-Vertragswerkstatt für die Werkstatt nicht viel mehr wert ist als die Zulassung als Vertragswerkstatt für eine andere Nutzfahrzeugmarke. Die Beklagte hat im Verhältnis zur Klägerin keine überragende Marktstellung. Eine relative Marktbeherrschung liegt in solchen Fällen in aller Regel nicht vor.

 

Praktische Auswirkungen von BGH „MAN-Vertragswerkstätten“

Werkstätten, die um Abschluss eines Werkstattvertrages ersuchen, können sich nicht mehr pauschal auf einen „Kontrahierungszwang des Herstellers/Generalimporteurs“ berufen. Der Hersteller wird die BGH-Entscheidung „MAN-Vertragswerkstätten“ entgegenhalten. Die Werkstatt kann sich auf die Rechtsansicht der Kommission stützen, die für die nationalen Gerichte zwar nicht verbindlich ist, für Hersteller aber unverändert ein beträchtliches Risiko einer Geldbuße nach sich zieht. Aufgrund dieses Risikos werden es freilich viele Hersteller vorziehen, wie bisher die Zulassung als Vertragswerkstatt nur an die Erfüllung der Standards zu knüpfen.

 

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