Vorzeitige Auflösung eines Vertriebsvertrages

Vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund - Wann liegt ein wichtiger Grund vor? Verschulden ist keine Voraussetzung.

Handelsvertreter und Vertragshändler: Wichtiger Grund berechtigt zur vorzeitigen Auflösung des Vertriebsvertrages.

Eine vorzeitige Auflösung eines Vertriebsvertrages ist möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Das gilt sowohl für Handelsvertreterverträge (§ 22 Handelsvertretergesetz) als auch für Händlerverträge. Denn das Recht auf vorzeitige Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund ist ein vom Obersten Gerichtshof seit Jahrzehnten judizierter vertragsrechtlicher Grundsatz (vgl. etwa OGH RS0027780, RS0018305, RS0018377). Dieses Recht steht selbstverständlich beiden Seiten zu. Es kann vertraglich nicht abbedungen werden (OGH RS0110370).

Was aber, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein wichtiger Grund gar nicht vorlag?

Der Antwort auf diese Frage geht dieser Beitrag nach.

Was ist ein wichtiger Grund?

Nun zählt § 22 Handelsvertretergesetz einige wichtige Gründe, die zur vorzeitigen Auflösung eines Handelsvertretervertrages berechtigen, beispielhaft auf. Diese Bestimmung ist auf Händlerverträge analog anwendbar (OGH 8 Ob 295/99m). Allerdings ist die in dieser Bestimmung enthaltene Aufzählung nicht abschließend (OGH RS0118823).

Entscheidende Voraussetzung für eine begründete vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund ist stets, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist bzw. bis zum Ablauf der vereinbarten Befristung der auflösenden Vertragspartei nicht mehr zumutbar ist (vgl. etwa OGH 4 Ob 113/02z). Denn andernfalls käme ja auch eine ordentliche Kündigung des unbefristeten Vertrages bzw. das Zuwarten bis zum Ablauf der vereinbarten Befristung in Frage.

Bei der Prüfung der Zumutbarkeit spielt immer auch das Gesamtverhalten des Vertragspartners eine Rolle. Eine Prüfung im Einzelfall ist erforderlich (OGH RS0108379).

Ein wichtiger Grund kann auch vorliegen, ohne dass die andere Vertragspartei ein Verschulden daran trifft (OGH RS0029330). Nur einzelne der in § 22 Handelsvertretergesetz aufgezählten wichtigen Gründe setzen ein Verschulden voraus (OGH RS0110371). Somit ist für eine begründete vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund ein Verschulden der Gegenseite nicht unbedingt erforderlich.

Vorzeitige Auflösung muss unverzüglich erfolgen

Die vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund ist unverzüglich nach Bekanntwerden des wichtigen Grundes auszusprechen:

Sowohl Unternehmer als auch Handelsvertreter müssen unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Bestehen eines wichtigen Grundes die vorzeitige Auflösung erklären. Ein sachlich nicht gerechtfertigtes Zuwarten muss objektiv dahin gedeutet werden, dass der Auflösungsberechtigte die Fortsetzung des Handelsvertreter-Vertragsverhältnisses trotz des Auflösungsgrundes im konkreten Fall nicht als unzumutbar empfindet, weshalb eine „Verwirkung“ eintritt.

OGH RS0111862.

Die Rechtsprechung unterstellt dem nicht gerechtfertigten Zuwarten somit eine unwiderlegliche Indizwirkung dafür, dass ein wichtiger Grund mangels Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages nicht vorliegt. Dann sonst wäre wohl nicht zugewartet worden.

Nach Möglichkeit sollte die auflösungsberechtigte und auflösungswillige Vertragspartei deshalb noch am selben Tag oder innerhalb des nächsten Tages handeln.

Bei unklarem Sachverhalt ist das Risiko einer vorzeitigen Auflösung aus wichtigem Grund „auf bloßen Verdacht hin“ oft zu hoch. In diesem Fall sollte man die andere Vertragspartei über die vorliegenden Verdachtsmomente informieren. Zudem sollte man die unverzügliche Aufklärung des Sachverhaltes ankündigen und sich die vorzeitige Auflösung des Vertrages aus wichtigem Grund vorbehalten. Dadurch wird ein allfälliges Vertrauen der anderen Vertragspartei auf ein Festhalten am Vertragsverhältnis in Kenntnis des Auflösungsgrundes zerstört. Nach erfolgter Aufklärung des Sachverhaltes muss die vorzeitige Auflösung dann freilich erst recht wieder unverzüglich erklärt werden.

Rechtsfolgen der vorzeitigen Auflösung

Die Rechtsfolgen einer erklärten vorzeitigen Auflösung des Vertriebsvertrages aus wichtigem Grund hängen davon ab, ob diese Auflösung begründet (berechtigt) war.

Wesentlich ist daher, ob ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag oder nicht.

Wenn ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag:

Eine begründete vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund beendet das Vertriebsverhältnis. Wirksam wird diese Beendigung mit dem Zugang der Auflösungserklärung bei der anderen Partei.

Es ist nicht von Bedeutung, ob der wichtige Grund in der Auflösungserklärung genannt wird. Die vorzeitige Auflösung kann auch durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt sein, der in der Auflösungserklärung nicht genannt wird. Und es schadet auch nicht, wenn darin ein anderer, in Wahrheit gar nicht vorliegender wichtiger Grund genannt wird.

Bei Verschulden der anderen Vertragspartei hat die auflösende Vertragspartei zudem einen Schadenersatzanspruch (§ 23 Abs 1 Satz 1 Handelsvertretergesetz). Das kann insbesondere bei befristeten Verträgen, die lange vor Fristablauf vorzeitig aufgelöst werden, zu hohen Ersatzansprüchen des begründet auflösenden Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers führen.

Vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund durch den Handelsvertreter bzw. Vertragshändler - Wenn begründet, dann Schadenersatzanspruch des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers. Wenn unbegründet, dann Schadenersatz des Unternehmers.

Auch für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers ist die begründete vorzeitige Auflösung relevant:

Höhe des Ausgleichsanspruchs in Geld. Handelsvertreter.
Auch der Ausgleichsanspruch kann von der begründeten oder unbegründeten vorzeitigen Auflösung aus wichtigem Grund abhängen.

Wenn ein wichtiger Grund nicht vorlag:

Eine vorzeitige Auflösung, der tatsächlich kein wichtiger Grund zugrunde liegt, ist eine unbegründete vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund.

Unbegründete vorzeitige Auflösung: Wahlrecht der Gegenseite

Eine solche unbegründete vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund beendet den Vertriebsvertrag nicht automatisch. Vielmehr hat die andere Vertragspartei in einem solchen Fall ein Wahlrecht (§ 23 Abs 1 Satz 2 Handelsvertretergesetz).

  • Sie kann auf die Erfüllung des Vertriebsvertrages bestehen.
  • Sie kann aber auch die unbegründete vorzeitige Auflösung gegen sich gelten lassen und Schadenersatz verlangen.

Aber auch hier gilt der Grundsatz: Das Wahlrecht ist zeitnah auszuüben

Vor der Ausübung dieses Wahlrechtes ist eine unbegründete vorzeitige Auflösung schwebend unwirksam, das Vertragsverhältnis besteht also zunächst fort.

Allerdings sollte das Wahlrecht wohl zeitnah, also binnen angemessener Frist ausgeübt werden. Nach Ansicht von Nocker, HVertrG², § 23 Rz 18 sogar „unverzüglich“.

Im Arbeitsrecht ist von der „Aufgriffsobliegenheit“ eines zu Unrecht gekündigten oder entlassenen Dienstnehmers die Rede. Seinen Fortsetzungsanspruch kann ein solcher Dienstnehmer nicht zeitlich unbegrenzt geltend machen. Diese Aufgriffsobliegenheit ist allgemein anerkannt und entspricht der ständigen Rechtsprechung (OGH RS0028233).

Vorzeitige Auflösung unbegründet - Wahlrecht muss zeitnah ausgeübt werden.

Im vertriebsrechtlichen Kontext müssen dieselben Überlegungen gelten. Die auflösende Vertragspartei soll nicht im Unklaren über die Wirkungen ihrer Auflösungserklärung bleiben. In aller Regel wird sie vom Vertragsende ausgehen. Wer die Begründetheit (Rechtmäßigkeit) der vorzeitigen Auflösung bestreitet und auf den Fortbestand des Vertragsverhältnisses besteht, der soll dies auch kundtun. Und zwar möglichst zeitnah. Das Wahlrecht kann wohl auch schlüssig ausgeübt werden. Man denke etwa an ein kommentarloses Fortsetzen oder an das unverzügliche Einstellen der bisherigen Tätigkeit .

Vorsicht: Vergeltungsmaßnahmen können riskant sein

Wichtig ist in diesem Zusammenhang Folgendes: Falls der Vertrag auch nach einer unbegründeten vorzeitigen Auflösung fortbesteht, ist selbstverständlich nicht nur die grundlos auflösende Vertragspartei, sondern auch die andere Vertragspartei verpflichtet, das eigene vertragliche Pflichtenprogramm weiterhin vollständig einzuhalten. Denn der Vertrag besteht in diesem Fall ja weiter.

Wer daher nach Empfang einer unbegründeten vorzeitigen Auflösung die bisherige Tätigkeit kommentarlos fortsetzt und dadurch schlüssig sein Wahlrecht ausübt, sich aber als Reaktion auf die unbegründete vorzeitige Auflösung an bestimmte vertragliche Pflichten nicht mehr gebunden fühlt, der geht ein hohes Risiko ein. Denn die auflösungswillige Vertragspartei könnte dies ausnützen und eine zweite vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund „nachschieben“. Berufen könnte sie sich dabei auf die nunmehrige Vertragsverletzung durch die andere Vertragspartei. Und eine solche vorzeitige Auflösung wäre deshalb womöglich sogar begründet.

In Deutschland gibt es zu dieser speziellen Konstellation bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung (BGH 12.3.2003, VIII ZR 197/02).

Schadenersatzanspruch der anderen Vertragspartei

Wenn die eine unbegründete vorzeitige Auflösung empfangende Vertragspartei ihren Fortsetzungswillen nicht binnen angemessener Frist erklärt, dann endet das Vertragsverhältnis, obwohl ein wichtiger Grund nicht vorlag. Dasselbe gilt natürlich, wenn das Wahlrecht durch Geltenlassen der Auflösung ausdrücklich ausgeübt wird.

Die grundlos auflösende Vertragspartei wird dann schadenersatzpflichtig.

Schadenersatzanspruch des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers

Der Schadenersatz des Handelsvertreters oder Vertragshändlers errechnet sich in der Regel nach dem Ausfallsprinzip. Er hat Anspruch auf den Verdienstentgang, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bis zum vom Unternehmer einzuhaltenden nächsten Kündigungstermin (Fristablauf) zu erwarten gewesen wäre (OGH RS0106001). Hohe Summen werden hier vor allem dann in Frage kommen, wenn der Unternehmer ein auf längere Zeit befristetes Vertragsverhältnis recht früh grundlos vorzeitig auflöst oder wenn die ordentliche Kündigungsfrist sehr lange gewesen wäre.

Zwar gilt eine Pflicht zur Schadensminderung: Der Handelsvertreter bzw. Vertragshändler muss sich anrechnen lassen, was er anderweitig erworben hat oder absichtlich zu erwerben versäumt hat. Allerdings ist der Nachweis, dass der Handelsvertreter bzw. Vertragshändler tatsächlich anderweitig Einkommen erzielen konnte oder hätte können, oft eine große Herausforderung.

Schadenersatzanspruch des Unternehmers

Der Schadenersatzanspruch des Unternehmers wird vor allem dann eine Rolle spielen, wenn der Handelsvertreter bzw. Vertragshändler in seinem Verkaufsgebiet exklusiv eingesetzt war. Denn dann kann es sehr schnell dazu kommen, dass dem Unternehmer durch die vorzeitige Auflösung Geschäftsabschlüsse in erheblichem Ausmaß entgehen. Freilich hat auch der Unternehmer in einem solchen Fall den Schaden zu mindern und sich unverzüglich um adäquaten Ersatz zu bemühen.

Vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund durch den Unternehmer - Wenn begründet, dann Schadenersatzanspruch des Unternehmers. Wenn unbegründet, dann Schadenersatz des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers.

Auch hier setzt die ordentliche Kündigungsfrist bzw. der vereinbarte Befristungsablauf dem ersatzfähigen Schaden die zeitliche Grenze.

Schadenersatz: Mitverschulden der anderen Vertragspartei denkbar

Eine praxisrelevante Frage in diesem Zusammenhang ist das mögliche Mitverschulden der die vorzeitige Auflösung empfangenden Vertragspartei am ihr durch die unbegründete vorzeitige Auflösung entstandenen Schaden.

Trifft beide Teile ein Verschulden an der begründeten oder unbegründeten vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses, so hat der Richter nach freiem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Ersatz gebührt.

§ 23 Abs 2 Handelsvertretergesetz

Es kann etwa sein, dass diese Vertragspartei schon im Vorfeld der vorzeitigen Auflösung auf den Schadenersatzanspruch „hingearbeitet hat“, indem sie der auflösenden Vertragspartei wesentliche ihr Verhalten rechtfertigende Umstände verschwiegen hat. In einem solchen Szenario hätte die auflösende Vertragspartei womöglich erkannt, dass ein wichtiger Grund für eine vorzeitige Auflösung gar nicht vorliegt, wenn ihr nur alle Informationen zur Verfügung gestanden wären.

Entscheidend ist hier die Überlegung, dass beide Vertragsparteien aufgrund der wechselseitig bestehenden Schutzpflichten, Aufklärungspflichten und Treuepflichten die jeweils andere Partei über Umstände zu informieren haben, die bei der Einschätzung wesentlich sein könnten, inwiefern ein wichtiger Grund zur Auflösung vorliegt.

In solchen Fällen ist ein hohes Maß an Mitverschulden der wesentliche Informationen verschweigenden Partei denkbar, dies sogar bis hin zum Alleinverschulden.

Rechtsprechung zum Mitverschulden

Auch insoweit bestehen wieder Parallelen zum Arbeitsrecht. Dort kann auf ständige Rechtsprechung zurückgegriffen werden:

Jeden Arbeitnehmer, der einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund für ein an sich pflichtwidriges Verhalten dem Arbeitgeber trotz bestehender Möglichkeit nicht (rechtzeitig) bekannt gibt, trifft grundsätzlich ein Mitverschulden an seiner Entlassung, wenn sie der Arbeitgeber bei Kenntnis des Rechtfertigungsgrundes aller Voraussicht nach nicht ausgesprochen hätte.

OGH RS0101991

Trifft den Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer wegen Arbeitsverweigerung entlässt, an der Nichtkenntnis eines gegebenen Rechtfertigungsgrundes (hier: Krankheit) kein oder nur ein vernachlässigbares Verschulden, hätte der Arbeitnehmer aber den rechtfertigenden Grund leicht nennen können, kann die Verschuldensabwägung auch dazu führen, dass das Mitverschulden des Arbeitnehmers an der objektiv ungerechtfertigten Entlassung wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit bis zum Alleinverschulden überwiegt.

OGH RS0121766

Diese ihrem Wesen nach schadenersatzrechtliche Überlegung lässt sich ohne Weiteres vom Arbeitsrecht auf vertriebsrechtliche Konstellationen übertragen (so ausdrücklich OGH 23.2.2009, 8 ObA 61/08s).

Zusammenfassung: Vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund

Eine begründete vorzeitige Auflösung setzt einen wichtigen Grund voraus und muss unverzüglich erklärt werden. Die Rechtsfolgen sind das sofortige Vertragsende und ein Schadenersatzanspruch der auflösenden Vertragspartei. Der Höhe nach interessant wird dieser Schadenersatzanspruch in der Regel dann sein,

  • wenn – beim unbefristeten Vertriebsvertrag – die ordentliche Kündigungsfrist lange gewesen wäre bzw.
  • wenn – beim befristeten Vertriebsvertrag – bis zum vereinbarten Befristungsablauf noch eine lange Zeit verstreichen hätte müssen.

Lag ein wichtiger Grund nicht vor oder wurde dieser nicht unverzüglich geltend gemacht, dann ist die vorzeitige Auflösung unbegründet. Die andere Vertragspartei hat dann ein Wahlrecht.

  • Sie kann am Vertrag festhalten, die vorzeitige Auflösung ist dann unwirksam.
  • Sie kann aber auch die unbegründete vorzeitige Auflösung gegen sich gelten lassen – der Vertrag ist dann beendet – und Schadenersatz von der auflösenden Vertragspartei begehren.

Für diesen Schadenersatzanspruch gilt dasselbe wie für den Schadenersatzanspruch der den Vertrag begründeterweise auflösenden Vertragspartei. Der mögliche Mitverschuldenseinwand hat hier große praktische Bedeutung.

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