OGH 28.3.2017, 4 Ob 48/17p: Nachvertragliches Wettbewerbsverbot sittenwidrig!
Der Fall betraf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot in einem Franchisevertrag: Der Franchisenehmer verpflichtete sich, für die Dauer von drei Jahren ab Vertragsende in derselben oder einer ähnlichen Branche keine Tätigkeiten aufzunehmen.
Nach Vertragsende hielt sich der Franchisenehmer nicht daran. Er wurde geklagt.
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot: Verfahrensverlauf
Die Franchisegeberin klagte auf Unterlassung und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.
Zu seiner Verteidigung machte der Franchisenehmer vor allem geltend, dass ein Wettbewerbsverbot gemäß der Vertikal-GVO Nr. 330/2010 nur zum Schutz von Know-How der Franchisegeberin zulässig gewesen wäre.
Die ersten beiden Instanzen hatten den Antrag der Klägerin abgewiesen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat den Revisionsrekurs zwar für zulässig erklärt. Im Ergebnis hat er die Entscheidungen der Unterinstanzen aber bestätigt.
Die Erwägungen des OGH sind eine kurze Zusammenfassung wert:
Zentrale Aussage: Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot war sittenwidrig
Nach Ansicht des OGH hat die Klausel die Berufs- und Erwerbsinteressen der Franchisenehmerin über den Rahmen der Interessen der Franchisegeberin hinaus beschränkt. Deshalb sei die Klausel sittenwidrig (RIS-Justiz RS0016608).
Zu den Interessen der Franchisegeberin:
- Die Gerichte konnten nicht feststellen, wie sehr sich die Produkte und Dienstleistungen (einschließlich des Vertriebskonzepts) der beklagten ehemaligen Franchisenehmerin tatsächlich an jene der klagenden Franchisegeberin anlehnen. Diese Negativfeststellung war für die Gerichte ganz wesentlich.
- Dasselbe galt für den Umstand, dass zahlreiche Mitbewerber der Klägerin ähnliche Dienstleistungen anbieten (Badezimmerrenovierungen und -sanierungen innerhalb von 24 Stunden). Denn dies spreche laut OGH dafür, dass die Klägerin aus der Klausel selbst keine nennenswerten Vorteile hätte ziehen können.
Zu den beschränkten Interessen der Franchisenehmerin:
- Gegenüber stehe dem eine massive und mehrere Jahre andauernde Einschränkung der bisherigen Erwerbstätigkeit der Beklagten.
Insgesamt erkannte der OGH ein auffallendes Missverhältnis zwischen den Interessen der Franchisegeberin und der Beschränkung für die Franchisenehmerin.
Dieses Missverhältnis gehe so weit, dass auch keine Teilnichtigkeit der Klausel in Frage komme (vgl. dazu RIS-Justiz RS0016610): Denn die Klausel entspreche in keinem Umfang einem berechtigten Interesse der Klägerin (Franchisegeberin).
Mangels wirksamer Konkurrenzklausel könne somit auch der lauterkeitsrechtliche Vertragsbruch nicht vorliegen, auf den das klägerische Begehren gestützt war. Daher sei das Begehren abzuweisen gewesen.
Analoge Anwendung von Handelsvertreterrecht auf das vorliegende nachvertragliche Wettbewerbsverbot?
§ 25 Handelsvertretergesetz erklärt das einen Handelsvertreter einschränkende nachvertragliche Wettbewerbsverbot für unwirksam. Diese Bestimmung schützt also einen Handelsvertreter vor einer Beschränkung seiner Erwerbstätigkeit nach Vertragsende.
Im hier analysierten Fall eines Franchisenehmers hat das Rekursgericht den Revisionsrekurs nun u.a. deshalb zugelassen, weil es zur analogen Anwendbarkeit von § 25 Handelsvertretergesetz auf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot in einem Franchisevertrag keine Rechtsprechung gebe. Das Rekursgericht selbst hatte eine solche analoge Anwendung bejaht.
Der OGH sah aberkeinen Anlass, sich zu dieser vom Rekursgericht aufgeworfenen Frage zu äußern. Denn er erachtete das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ohnehin für sittenwidrig und daher unwirksam.
Europäisches Kartellrecht zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot im Franchise nicht anwendbar
Bemerkenswert sind die kartellrechtlichen Ausführungen des OGH. Diese erklären wohl auch, warum der OGH den Revisionsrekurs überhaupt für zulässig erachtet hat: „Zur Klärung der Rechtslage …“. (Für einen bloßen Verweis auf die Sittenwidrigkeit hätte im Hinblick auf RIS-Justiz RS0016608 wohl auch eine Zurückweisung des Revisionsrekurses als unzulässig gereicht.)
Das Rekursgericht hatte den Antrag der Klägerin u.a. auch deshalb abgewiesen, weil es im Wettbewerbsverbot einen Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV sah. Denn das vorliegende Wettbewerbsverbot sei nicht unerlässlich, um einen Missbrauch der Immaterialgüter zu verhindern und den Goodwill des Betriebs zu sichern (vgl. dazu Art 5 Abs 3 lit c der Vertikal-GVO Nr. 330/2010).
Laut OGH sei EU-Kartellrecht aber gar nicht anwendbar. Denn es liege keine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vor: Eine Abschottung des nationalen (österreichischen) Marktes sei nicht erkennbar. Mangels Anwendbarkeit von Art 101 Abs 1 AEUV könne auch die Vertikal-GVO Nr. 330/2010 nicht anwendbar sein, auf deren Art 5 Abs 3 die Klägerin sich im Revisionsrekurs gestützt hatte. Deshalb würden „die entsprechenden Ausführungen im Rechtsmittel ins Leere gehen“. Im Übrigen ließ der OGH freilich durchklingen, dass er – die Anwendbarkeit von EU-Kartellrecht vorausgesetzt – die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichtes ohnehin geteilt hätte.
Damit ruft der OGH Folgendes in Erinnerung: EU-Kartellrecht kann nicht reflexartig angewendet werden. Vielmehr ist dafür eine tatsächliche Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten erforderlich.
Und österreichisches Kartellrecht zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot im Franchise?
Österreichisches Kartellrecht hat der OGH nicht angewendet. Das ist anhand der Entscheidungsbegründung nicht nachvollziehbar:
- Ob das Vorbringen der Klägerin (Franchisegeberin) dafür ausreichend war, geht aus der Entscheidung nicht hervor. Allerdings liegt dies nahe: Denn der Wortlaut von § 1 Abs 1 und 2 Kartellgesetz und von § 2 Abs 1 Kartellgesetz orientiert sich bekanntlich an Art 101 Abs 1 AEUV bzw. an Art 101 Abs 3 AEUV.
- Das Wettbewerbsverbot wäre im Zuge einer Prüfung am österreichischen Kartellrecht wohl als wettbewerbsbeschränkend gemäß § 1 Kartellgesetz eingestuft worden.
- Der nächste Schritte wäre eine Prüfung der Zulässigkeit der wettbewerbsbeschränkenden Klausel gemäß § 2 Abs 1 Kartellgesetz gewesen. Einen Angeknüpfungspunkt hätten die der Bestimmung des Art 5 Abs 3 der Vertikal-GVO Nr. 330/2010 zugrunde liegenden Erwägungen geboten.
- Hätte der OGH dabei die auf rein innerösterreichische Sachverhalte nicht anwendbare Vertikal-GVO Nr. 330/2010 womöglich als Auslegungshilfe herangezogen?
- Lager/Petsche (in Petsche/Urlesberger/Vartian [Hrsg], KartG 2005² § 3 Rz 5) befürworten das. Und der OGH hätte mit einer Stellungnahme zu dieser Praxis „zur Klärung der Rechtslage“ noch mehr beitragen können.
Was als Ergebnis übrig bleibt: Ein Nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist womöglich sittenwidrig
1) Der OGH erinnert an die mögliche Sittenwidrigkeit nachvertraglicher Wettbewerbsverbote.
2) Der OGH erinnert außerdem an das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten (Art 101 Abs 1 AEUV). Auch für die unmittelbare Anwendbarkeit der Vertikal-GVO Nr. 330/2010 ist dieses Tatbestandsmerkmal wesentlich.
3) Hingegen äußert sich der OGH nicht zur folgenden Frage:
Kann die Vertikal-GVO Nr. 330/2010 auch bei rein innerösterreichischen Wettbewerbsbeschränkungen Relevanz haben?
Und wenn ja, auf welcher Grundlage und in welchem Umfang?