Mulmiges Gefühl bei der zugesagten Lieferdauer? Angst vor Schadenersatzforderungen?

Lieferverzug Schadenersatz

Lieferverzug: Haben Sie gewusst, dass das österreichische ABGB Lieferanten eine Möglichkeit bietet, sich von verbindlichen Lieferfristen völlig loszusagen?

Das Gesetz spricht von der Fälligkeit „nach Möglichkeit oder Thunlichkeit“. Zum Lieferverzug kann es dann in aller Regel gar nicht mehr kommen! Den wenigsten Klienten ist das geläufig.

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert und überprüft am: 22. April 2022

Welche Bestimmung im ABGB ich meine?

Wir sprechen von § 904 ABGB, eine seit dem Jahre 1812 (als das ABGB in Kraft trat) unveränderte Bestimmung. 

In ihrem 3. Satz, der auf das Ende des 2. Satzes Bezug nimmt, heißt es:

„… die Erfüllungszeit von dem Richter nach Billigkeit festsetzen lassen. Letzteres findet auch dann statt, wenn der Verpflichtete die Erfüllung, nach Möglichkeit, oder Thunlichkeit versprochen hat.“

Absicherung gegen Lieferschwierigkeiten

In Lieferverträgen oder Vertriebsbedingungen möchte sich der Hersteller oder Großhändler häufig dagegen absichern, dass es zu Lieferschwierigkeiten kommt oder dass Lieferungen deutlich länger dauern als geplant. Im Falle von Lieferverzug drohen zum einen – nach Setzung einer Nachfrist – der Rücktritt vom Vertrag und zum anderen Schadenersatzpflichten. Und in der Vertriebskette bergen die womöglich beim Besteller der Ware eintretenden Schäden aufgrund von Lieferverzögerungen nicht zu unterschätzende Risiken. Dasselbe gilt, wenn der Besteller die Ware nicht zum Weiterverkauf erwirbt, sondern weil er sie selbst im Rahmen seines Geschäftsbetriebes benötigt.

Am elegantesten lässt sich dieses Risiko für den Hersteller (Lieferanten), also den Schuldner der Ware, minimieren, indem die Fälligkeit seiner Leistung hinausgeschoben wird. Und genau dies lässt die hier erörterte Bestimmung des § 904 Satz 3 ABGB ausdrücklich zu.

Lieferverzug - Fälligkeit nach Möglichkeit und Tunlichkeit

Ausdrücklich oder deutlich erkennbar

Darin liegt freilich ein großes Zugeständnis des Gläubigers an den Schuldner. Aus diesem Grund verlangt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass eine Vereinbarung, wonach sich die Fälligkeit „nach Möglichkeit oder Tunlichkeit“ richtet, eines deutlichen Hinweises bedarf (RIS-Justiz RS0017714). Im Zweifel sei nämlich anzunehmen, dass der Schuldner auf Mahnung des Gläubigers unverzüglich leisten müsse. Deshalb obliege dem Schuldner der Nachweis, dass Fälligkeit nicht schon aufgrund einer Mahnung des Gläubigers, sondern erst nach Möglichkeit oder Tunlichkeit eintrete.

Mit anderen höchstgerichtlichen Worten:

Eine Vereinbarung über die Abzahlung einer Schuld nach Tunlichkeit und Möglichkeit muss ausdrücklich getroffen werden oder deutlich erkennbar sein. (RIS-Justiz RS0017709).

Im Hinblick auf diesen strengen Maßstab liegt beim Formulieren einer entsprechenden Vertragsklausel ein Rückgriff auf den Gesetzeswortlaut nahe, mag die Formulierung „nach Möglichkeit oder Tunlichkeit“ auch ein wenig altertümlich anmuten. Sinnvoll ist überdies ein Verweis auf die gesetzliche Grundlage des § 904 Satz 3 ABGB, um jedes Missverständnis auszuschließen.

In der Praxis (die Fälle betreffen überwiegend keine Vertriebsbedingungen oder Lieferverträge) sind freilich auch ganz andere Formulierungen anzutreffen. So hat die Rechtsprechung auch bei folgenden Wortwendungen eine vereinbarte Fälligkeit nach Möglichkeit oder Tunlichkeit angenommen (Nachweise unter Binder/Kolmasch in Schwimann/Kodek, ABGB IV, 4. Auflage, § 904 Rz 12, Beispiele von dort entnommen):

  • „werde nach und nach zahlen“
  • „nach Maßgabe der Liquidität“
  • „wenn ich wieder zu Geld komme“
  • „wenn ich kann“
  • „bei Besserung der Verhältnisse“
  • „sobald ich es geschafft habe“
  • „allmählich“

Wie behilft sich nun der Gläubiger?

Eine Fälligkeit nach Möglichkeit oder Tunlichkeit des Schuldners bedeutet nicht, dass der Schuldner die Fälligkeit ohne Begrenzung hinausschieben kann, indem er stets auf die derzeitige Unmöglichkeit und Untunlichkeit verweist. Vielmehr hat, wie § 904 Satz 2 ABGB ausdrücklich anordnet, der Richter die Fälligkeit der Forderung unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien nach Billigkeit festzusetzen.

Das bedeutet aber, dass der Gläubiger den Rechtsweg beschreiten muss, um überhaupt erst die Fälligkeit herbeizuführen. Gerade bei Vertriebsverträgen und bloßen Lieferbeziehungen ist dies häufig nicht zu erwarten. In den meisten Fällen wird sich der Gläubiger (Besteller) wohl damit abfinden, dass die bestellte Ware deutlich später oder überhaupt nicht mehr ankommt.

Ergebnis

Den Lieferanten einer Ware – und auch sonst jeden Schuldner einer Leistung – kann eine Vereinbarung der Fälligkeit nach Möglichkeit oder Tunlichkeit auf äußerst wirksame Weise gegen Schadenersatzpflichten absichern.

Ungelöst bleibt freilich, ob der Besteller auch ohne Anrufung des Gerichts zur Bestimmung der Fälligkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt von seiner Bestellung Abstand nehmen kann. Streng genommen steht ihm diese Möglichkeit nicht offen, denn der Lieferant ist nicht im Verzug. Im Ergebnis wäre es freilich kaum sachgerecht, nähme man an, der Besteller bliebe ohne Anrufung des Gerichts zeitlich unbegrenzt an seine Bestellung gebunden und der Lieferant könnte auch Jahre später noch leisten.

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