Kosten-Preis-Schere beschneidet die Händlermarge – Das sollten Sie wissen

Kosten-Preis-Schere - Alles zum margin squeeze

Margin Squeeze: Behinderungsmissbrauch mit der Kosten-Preis-Schere

Die Kosten-Preis-Schere ist ein sehr anschauliches Beispiel für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Geführt wird eine Kosten-Preis-Schere von einem marktbeherrschenden Anbieter (Lieferanten), er beschneidet damit die Marge (Gewinnspanne, Deckungsbeitrag) seiner Abnehmer.

In der Regel betrifft diese Praxis Hersteller (bzw. Vertriebsgesellschaften), die ihre Ware parallel zu einem Vertriebsnetz auch selbst direkt an Endverbraucher verkaufen. Und da viele Hersteller genau dies tun, ist die Problematik der Kosten-Preis-Schere in der Praxis sehr relevant.

Bei der kartellrechtlichen Prüfung ist Vorsicht angebracht. Denn unzulässig ist eine Kosten-Preis-Schere nur in sehr speziellen Konstellationen, was im Diskurs zum Teil untergeht.

Was aber ist eine Kosten-Preis-Schere nun genau?

Ausgangssituation: Zweigleisiger Vertrieb

Ausgangspunkt der Überlegung ist ein Hersteller, der seine Ware über ein Händlernetz veräußert, Endverbraucher jedoch auch selbst direkt beliefert. Im großen Stil und flächendeckend könnte dies etwa über einen Online-Shop geschehen.

Unser Hersteller hat dabei seine Vertriebsaktivitäten am Endverbrauchermarkt nicht auf bestimmte Endverbraucherkreise beschränkt. Er hat also den Vertragshändlern nicht vertraglich zugesagt, nur bestimmte Endverbraucher zu bedienen. Es geht bei der Kosten-Preis-Schere somit nicht darum, dass ausgewählten Kundengruppen spezielle Konditionen eingeräumt werden.

Wenn der Hersteller aggressiv wird...

Der Leser stelle sich nun Folgendes vor. Auf Kosten seiner eigenen Marge setzt der Hersteller den Endverbraucherverkaufspreis niedriger an als den seinen Händlern verrechneten Verkaufspreis. Letzterer ist der Händlereinkaufspreis. Die Vertragshändler werden dann mit dem Hersteller am Endverbrauchermarkt preislich nur konkurrieren können, wenn sie Verluste in Kauf nehmen.

Ähnlich ist die Situation, wenn der Endverbraucherpreis des Herstellers den Händlereinkaufspreis nur geringfügig übersteigt. Dann finden sogar die Kosten jener Vertragshändler, die genauso effizient arbeiten wie der Hersteller, in dieser geringfügigen Differenz keinen Platz.

Ein solches Missverhältnis zwischen dem Händlereinkaufspreis und dem Endverbraucherpreis setzt die Vertragshändler unter Druck. Sie werden gezwungen, die Ware ohne Gewinn oder im schlimmsten Fall unter Inkaufnahme eines Verlustes weiter zu veräußern.

Der Hersteller beschneidet also die Margen seiner Vertragshändler, daher der Name „Kosten-Preis-Schere“. Damit behindert er seine Vertragshändler in ihrer Vertriebstätigkeit.

Der Begriff „margin squeeze“ beschreibt dasselbe Phänomen: Die Marge des Händlers wird zerdrückt, sie wird gequetscht.

 
margin squeeze

Margin Squeeze dem Wettbewerber gegenüber

Eine Kosten-Preis-Schere kann auch abseits der klassischen Vertriebskette vorliegen.

Ein Lieferant beliefert einen Wettbewerber mit einer Vorleistung für das von beiden Unternehmen vertriebene Produkt. Dabei setzt er die Preise in das beschriebene Missverhältnis.

Der Fokus dieses Beitrags liegt allerdings auf der klassischen Vertriebskette.

Beschreibung der Europäischen Kommission

Die Kommission beschreibt die Wirkung einer Kosten-Preis-Schere mit folgenden Worten (Mitteilung der Kommission zu ihren Durchsetzungsprioritäten zu Art. 102 AEUV, Nr. 80):

Denkbar ist schließlich auch, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen statt einer Lieferverweigerung für das betreffende Produkt den Preis auf dem vorgelagerten Markt gegenüber seinem Preis auf dem nachgelagerten Markt so ansetzt, dass es sogar für einen ebenso effizienten Wettbewerber nicht mehr möglich ist, auf dem nachgelagerten Markt langfristig rentabel zu bleiben (sog. „Kosten-Preis-Schere“).

Marktbeherrschende Stellung als Voraussetzung

Beherrschung des Ressourcenmarktes

Das Zitat der Kommission enthält auch schon die erste Grundvoraussetzung für die Rechtswidrigkeit einer Kosten-Preis-Schere. Der Hersteller, der mit seinen Vertragshändlern am Endverbrauchermarkt im Wettbewerb steht, muss den „Ressourcenmarkt“ beherrschen. Der Ressourcenmarkt ist jener vorgelagerte Markt, auf dem sich der Hersteller einerseits und die Vertragshändler andererseits gegenüberstehen.

Mit anderen Worten: Wer einen Hersteller einer missbräuchlichen Margenbeschneidung bezichtigt, muss darlegen, dass der Hersteller den Ressourcenmarkt beherrscht. Und bereits dieser Schritt wird in der Regel alles andere als leicht sein, wie der BGH im Bereich der Kfz-Werkstätten gezeigt hat (BGH, 30.3.2011, KZR 6/09 „MAN-Vertragswerkstatt“, vgl. diese Erörtertung).

Dieser Ressourcenmarkt ist zunächst abzugrenzen. Das entscheidende Kriterium ist dabei die Substituierbarkeit der in Rede stehenden Ware aus Sicht der Vertragshändler. Das wird häufig übersehen.

Die den Ressourcenmarkt beherrschende Stellung selbst meint dann die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (EuGH 13.2.1979, Rs C-85/76 – Hoffmann-La Roche/Kommission, Rn 38; EuGH 14.10.2010, Rs C-280/08 P – Deutsche Telekom/Kommission, Rn 170).

Wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmers

Relative Marktbeherrschung in der Lieferbeziehung

Neben dem klassischen Fall eines hohen Marktanteils des Herstellers am Ressourcenmarkt ist gerade bei vertikalen Vertriebsstrukturen auch eine relative Marktbeherrschung im Sinne von § 4 Abs 3 Kartellgesetz denkbar:

Als marktbeherrschend gilt auch ein Unternehmer, der eine im Verhältnis zu seinen Abnehmern (…) überragende Marktstellung hat; eine solche liegt insbesondere vor, wenn diese zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angewiesen sind.

Bei diesem Tatbestand ist freilich Zurückhaltung angebracht: Die in Österreich dazu ergangene Judikatur ist bislang überschaubar geblieben. Die Einschränkung dieses Tatbestandes auf schwerwiegende betriebswirtschaftliche Nachteile (vgl OGH 26.6.2014, 16 Ok 12/13, III.5.) wird dazu führen, dass der Tatbestand nur selten erfüllt ist.

So wird ein Markenwechsel für einen Vertragshändler zwar mit Kosten und finanziellen Einbußen verbunden sein. Das kann für sich allein aber nicht ausreichen, um eine relative Marktbeherrschung des Herstellers anzunehmen.

Zwischen betriebswirtschaftlichen Nachteilen und schwerwiegenden betriebswirtschaftlichen Nachteilen ist zu unterscheiden.

Aber vorsicht! Update vom November 2021:

Man beachte die OGH-Entscheidung „Büchl/PSA“, wo der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht eine relative Marktbeherrschung bejaht hat. Der Anwendungsbereich dürfte daher von den Kartellgerichten weiter gesehen werden als hier 2016 vertreten.

Kosten-Preis-Schere: Auf wessen Preisstruktur ist abzustellen?

Das Wesen der Kosten-Preis-Schere („margin squeeze“) hat der EuGH insbesondere in seinem Urteil „TeliaSonera“ beschrieben (EuGH 17.2.2011, Rs C-52/09, Rn 32 und 33; siehe auch schon EuGH 14.10.2010, Rs C-280/08 P, Deutsche Telekom/Kommission).

Auf den Punkt gebracht liegt eine missbräuchliche Margenbeschneidung somit vor, wenn die Differenz zwischen den Endkundenentgelten eines marktbeherrschenden Unternehmens und dem Vorleistungsentgelt für vergleichbare Leistungen an seine Wettbewerber entweder negativ ist oder nicht ausreicht, um die produktspezifischen Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens für die Erbringung seiner eigenen Endkundendienste im nachgeordneten Markt zu decken“ (Bulst in Langen/Bunte, Kartellrecht II, 12. Auflage, Art. 102 AEUV Rn 301, unter Verweis auf die soeben genannten EuGH-Urteile).

Klargestellt hat der EuGH, dass der missbräuchliche Charakter eines Margin Squeeze nicht auf dem absoluten Niveau der Preise beruht. Entscheidend ist vielmehr ausschließlich das Missverhältnis zwischen Endverbraucherpreis und Händlereinkaufspreis. Dieses Missverhältnis zwingt die Vertragshändler, die Ware unter Inkaufnahme von Verlusten an die Endverbraucher weiter zu veräußern (EuGH „TeliaSonera“, Rn 34). Ein hoher Händlereinkaufspreis allein liefert daher keine Grundlage für den Vorwurf einer Margenbeschneidung.

Grundlegend für ein Verständnis, ab wann eine missbräuchliche Kosten-Preis-Schere tatsächlich vorliegt, ist schließlich der folgende Aspekt: Bei der Prüfung, ob die Differenz zwischen Endverbraucherpreis und Händlereinkaufspreis ausreichend hoch ist, ist auf die Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens selbst abzustellen. Kein Missbrauch liegt vor, wenn ein Vertragshändler keine Marge erwirtschaften kann, weil er weniger effizient arbeitet als der Marktbeherrscher.

Man muss also die folgende Frage stellen:

Wäre es dem marktbeherrschenden Unternehmen auch dann möglich, die Ware an die Endverbraucher zum derzeitigen Preis gewinnbringend zu vertreiben, wenn es die an die Vertragshändler erbrachte Leistung selbst zum derzeitigen Händlereinkaufspreis am Markt beziehen müsste?

EuGH „TeliaSonera“, Rn 43.

Zwischenergebnis: Wann ist eine Kosten-Preis-Schere missbräuchlich?

Bei der Preisgestaltung vorsichtig sein muss ein Hersteller dann, wenn er

  • zugleich ein Vertragshändlernetz unterhält und selbst Endkunden beliefert und
  • den Ressourcenmarkt beherrscht.

Ein den Ressourcenmarkt beherrschender Hersteller darf die Ware den Endverbrauchern im Vergleich zum Händlereinkaufspreis nicht zu günstig anbieten. Ein mit derselben Effizienz wie der Hersteller arbeitender Vertragshändler muss gewinnbringend wirtschaften können. Hingegen kann einem im Vergleich zu den Vertragshändlern kosteneffizienter operierenden Hersteller ein Preismissverhältnis nicht vorgeworfen werden.

Die Situation einer missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere ist somit speziell. Es bedarf einer sorgfältige kartellrechtliche Prüfung, bevor in einem Missverhältnis zwischen Endverbraucherpreis und Händlereinkaufspreis ein Missbrauch erkannt wird.

Insbesondere notwendig ist dabei eine Abgrenzung des relevanten Ressourcenmarktes. Ausgehend von dieser Abgrenzung ist dann die Marktbeherrschung zu prüfen.

Marktbeherrschung

Kosten-Preis-Schere in speziellen Konstellationen

"In geringem Umfang" missbräuchlich?

Und wenn ein Hersteller nur wenige Endverbraucher unter dem Händlereinkaufspreis beliefert, die übrigen hingegen zu einem höheren Preis?

Anknüpfungspunkt ist die Missbräuchlichkeit des Verhaltens. Und insofern ist es selbstverständlich relevant, ob der Hersteller den Vertragshändlern sämtliche Endverbraucher streitig macht oder einen vernachlässigbaren Teil.

Ein Behinderungsmissbrauch wird in der Regel erst ab einem gewissen Ausmaß vorliegen. Die Aktivitäten des Vertragshändlers am Endverbrauchermarkt müssen spürbar erschwert oder seine Gewinne spürbar beschnitten werden. Das wird kaum der Fall sein, wenn ein Vertragshändler durch die Preisgestaltung nur von wenigen Kunden ferngehalten wird. Denn schließlich kann er auch ohne Kosten-Preis-Schere nicht sicher annehmen, dass er diese gewinnen hätte können.

Deshalb liegt einer auf bestimmte Endverbraucher begrenzten Kosten-Preis-Schere kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Dies jedoch nur, solange die Zahl der betroffenen Endverbraucher nicht überhand nimmt.

Für vertraglich vorbehaltene Endkunden missbräuchlich?

Ist es von Bedeutung, wenn sich der ansonsten am Endverbrauchermarkt nicht tätige Hersteller die Belieferung bestimmter Endverbraucher vorbehalten hat?

In dieser Konsellation wird der Hersteller am Endverbrauchermarkt grundsätzlich gar nicht tätig. Bestimmte Gruppen darf er aber aufgrund eines vertraglichen Vorbehalts beliefern (etwa öffentliche Auftraggeber, Behörden, etc.). Und die an sich missbräuchliche Preispolitik (Kosten-Preis-Schere) erstreckt sich nun nur auf diese Endkunden.

Einem Hersteller mit Marktanteil unter 30% wäre es erlaubt, den Vertragshändlern den aktiven Verkauf an vorbehaltene Kundengruppen völlig zu untersagen. So Art 4 lit b Nr i. der Vertikal-GVO, Nr. 330/2010, wofür freilich strenge Voraussetzungen einzuhalten sind (vgl dazu Nolte in Langen/Bunte, Kartellrecht II, 12. Auflage, Nach Art. 101 AEUV Rn 484 ff).

Dann muss es dem Hersteller aber auch erlaubt sein, diese Kundengruppen außerordentlich günstig zu beliefern. Darin liegt ein Größenschluss.

Offenbar ist es wettbewerbspolitisch akzeptabel, wenn die Vertragshändler durch Vertragsgestaltung bei ihren Verkaufsbemühungen an eine abgegrenzte Kundengruppe behindert werden. Wenn also die Wahrscheinlichkeit, dass an diese abgegrenzte Kundengruppe erfolgreich verkauft wird, reduziert wird. Anders lässt sich Art 4 lit b Nr i. der Vertikal-GVO nicht deuten. Und nichts anderes bewirkt der Direktvertrieb an ausgewählte Endverbraucher zu einem unter dem Händlereinkaufspreis (oder geringfügig darüber) liegenden Preis.

Hier gibt es aber ein signifikantes Risiko, dass das von Gerichten oder Behörden anders beurteilt wird. Denn der margin squeeze behindert auch den passiven Verkauf, wohingegen die oben genannte Möglichkeit, Verkäufe zu untersagen, sich auf aktive Verkäufe beschränkt.

Freistellung als Indiz gegen Missbräuchlichkeit?

Dabei wird freilich angenommen, dass die Freistellung gemäß der Vertikal-GVO auch bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit eine Rolle spielt. Und zwar als wichtiges Indiz gegen die Missbräuchlichkeit.

Nun ist diese diese Annahme jedoch nicht zwingend. Denn die gegenteilige Ansicht ist ebenfalls verbreitet und vertretbar. Nach dieser kann auch die Verwendung von vom Kartellverbot freigestellten Klauseln den Tatbestand des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung verwirklichen. Vgl. dazu die sog. „deutsche Klausel“ gemäß Art 3 Abs 2 Satz 2 der Verfahrens-VO Nr. 1/2003 (vgl. dazu näher Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht I, 12. Auflage, § 19 GWB Rn. 236 ff). Es geht dabei um das Spannungsverhältnis zwischen Art. 101 Abs 1 AEUV und § 4 Abs 3 öKartG (bzw § 20 dGWB).

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