Sogwirkung der Marke – Gefahr für den Ausgleichsanspruch

Die Sogwirkung der Marke kann zu einem hohen Billigkeitsabschlag auf den Ausgleichsanspruch führen

Was ist die Sogwirkung einer Marke und weshalb ist sie von Bedeutung? Davon handelt dieser Beitrag.

Die Sogwirkung der Marke kann zu einem hohen Billigkeitsabschlag auf den Ausgleichsanspruch führen

Handelsvertreter und Vertragshändler haben nach Beendigung ihres Vertragsverhältnisses unter Umständen einen Ausgleichsanspruch. Dessen Berechnung lässt schon grundsätzlich viel Argumentationsspielraum. Ein sehr hohes Maß an Unsicherheit besteht jedoch in aller Regel bei der Billigkeitsprüfung. Dabei wird untersucht, ob aufgrund bestimmter Umstände ein Abschlag vom oder ein Zuschlag zum Ausgleichsanspruch gebührt.

Ein Paradebeispiel für einen solchen Umstand ist die vom Unternehmer regelmäßig ins Treffen geführte „Sogwirkung der Marke“.

Das Argument in aller Kürze

Mit dem Verweis auf die Sogwirkung der Marke macht der Unternehmer folgendes Argument geltend:

Die Anstrengungen des Handelsvertreters bei der Gewinnung der Kunden haben sich ohnehin in Grenzen gehalten. Denn der Gewinn von Kunden hat vor allem auf der Bekanntheit und Wertschätzung der Marke des Unternehmers beruht. Aufgrund der kaum vorhandenen Verdienstlichkeit des Handelsvertreter ist der errechnete Ausgleichsanspruch zu kürzen. Der gesetzliche Hinweis auf die Billigkeit legt dies nahe. Denn was, wenn nicht die konkrete Verdienstlichkeit, soll im Rahmen einer Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen sein?

Für den Vertragshändler gilt dieses Argument analog.

Zur Erinnerung: Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und die Billigkeit

§ 24 Abs 1 Handelsvertretergesetz lautet wie folgt:

Ausgleichsanspruch

§ 24 (1) Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gebührt dem Handelsvertreter ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit

1. er dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat,

2. zu erwarten ist, dass der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann, und

3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.

(2) …

(Fettdruck durch den Autor, nicht durch den Gesetzgeber)

Sie möchten grundsätzliche Informationen zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (Anspruchsvoraussetzungen und Berechnung)? Bitte hier lang.

Sie möchten wissen, wann einem Vertragshändler ein Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung von § 24 HVertrG zusteht? Bitte hier lang.

Gut, und was ist nun die Sogwirkung der Marke?

Eine Marke hat Sogwirkung, wenn sie viele Endverbraucher zum Kauf der Ware bewegt. Man spricht von der Sogwirkung, wenn die Marke und ihre Wertschätzung an der Kaufentscheidung der Endverbraucher hohen Anteil haben. Die Marke mit Sogwirkung ist ein wichtiges Kaufmotiv.

In der Regel beruht die Sogwirkung einer Marke auf großen Werbeanstrengungen des Herstellers (bzw. der nationalen Vertriebsgesellschaft, des Importeurs). Von diesen profitiert dann aber selbstverständlich auch der Handelsvertreter (oder der Vertragshändler).

Bekannte Marken entwickeln einen Sog.
Bekannte Marken entwickeln einen Sog.

Im Gegensatz dazu ist der Aufbau einer bekannten Marke mit entsprechender Sogwirkung durch einen Handelsvertreter bzw. Vertragshändler allein in der Regel nicht möglich.

Durch die Etablierung einer bekannten Marke mit Sogwirkung erleichtert der Hersteller dem Handelsvertreter oder Vertragshändler sein Geschäft ganz erheblich. In gewissen Branchen und bei gewissen Marken treten dessen Verkaufsanstrengungen im Vergleich zu dieser Sogwirkung völlig in den Hintergrund. Man denke hier etwa an Premium-Kfz-Marken.

Das soll nicht heißen, dass keine Anstrengungen durch den Handelsvertreter oder Vertragshändler erfolgt sind oder notwendig wären. Gemeint ist, dass die Herstellermarke für den Endkunden ein viel wichtigerer Beweggrund für den Kauf war als die konkreten Verkaufsbemühungen.

Die Sogwirkung der Marke kann so weit gehen, dass der Handelsvertreter überhaupt nur mehr in äußerst geringem Maße als für die Neugewinnung des Kunden ursächlich angesehen werden kann. Das ändert freilich nichts daran, dass auch solche unter kräftiger „Mithilfe“ der Marke eroberten Kunden als vom Handelsvertreter zugeführt gelten. Schließlich reicht dafür nach völlig herrschender Ansicht eine Mitursächlichkeit aus (RIS-Justiz RS0109607; vgl auch Hopt, Handelsvertreterrecht, 5. Auflage, § 89b Rz 14). Die Sogwirkung der Marke kann daher nicht schon in der Ausgangsberechnung des Ausgleichsanspruchs eine Rolle spielen. (Vgl. dazu die oben zitierten Ziffern 1 und 2 des Abs 1). Auch wenn gerade das „soweit“ im Eingangssatz des oben zitierten § 24 Abs 1 Handelsvertretergesetz („wenn und soweit“) dies nahelegen könnte.

Die Sogwirkung der Marke führt zum Billigkeitsabschlag

Doch auf der Grundlage des § 24 Abs 1 Z 3 Handelsvertretergesetz reduzieren die Gerichte in aller Regel den nach den oben zitierten Ziffern 1 und 2 errechneten Betrag um einen bestimmten Prozentsatz. Das ist der sogenannte „Billigkeitsabschlag“ (RIS-Justiz RS0116277).

Eine objektive Einschätzung, wie hoch dieser Abschlag in konkreten Fall sein kann, ist in der Regel nicht möglich. Zu schwierig ist es, den Beitrag der Sogwirkung der Marke zum Verkaufserfolg dem Beitrag des Handelsvertreters gegenüber zu stellen. Es ist und bleibt eine Billigkeitsentscheidung. Und Billigkeitsentscheidungen bringen naturgemäß ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit mit sich. Bezeichnend ist etwa das unverblümte Eingeständnis des OGH (OGH 9.4.2002, 4 Ob 54/02y):

„Insgesamt gestaltet sich die Bestimmung der Höhe der nach Billigkeit gebührenden Ausgleichszahlung sehr schwierig.“

Der deutsche Bundesgerichtshof hat für die Sogwirkung der Marke VOLVO einen Billigkeitsabschlag von 25% für angemessen erachtet (BGH 13.7.2011, VIII ZR 17/09, Rn 29).

Wie messe ich die Sogwirkung der Marke?

Die „Umrechung“ der Sogwirkung der Marke in einen Billigkeitsabschlag (in %) bereitet Schwierigkeiten. Der Grund dafür ist, dass das Gesetz keinerlei Anhaltpunkt darüber enthält, wie stark eine Sogwirkung zu berücksichtigen ist.

In relativer Hinsicht ist hingegen klar, dass die Sogwirkung von Marken völlig unterschiedliches Ausmaß erreichen kann.

Substituierbarkeit und Preisniveau als Indizien

Bei der Beurteilung, ob die Sogwirkung einer Marke hoch oder niedrig ist, können zwei Überlegungen helfen:

  1. Je eher die konkreten Interessenten bereit sind, bei geringen Preiserhöhungen der Markenware auf ein Konkurrenzprodukt auszuweichen, desto geringer muss die Sogwirkung der Marke sein. Ist die Preissensibilität hingegen sehr gering, dann spricht dies für eine hohe Sogwirkung. Diese rechtfertigt dann auch einen höheren Billigkeitsabschlag, so etwa im Luxusbereich und bei Premium-Marken. Entscheidend für das Ausmaß an Sogwirkung der Marke ist demgemäß das Ausmaß an Substituierbarkeit der Markenware aus Sicht der Nachfrager.
  2. Darüber hinaus ist aber womöglich überhaupt das am Markt beobachtete Preisniveau der vertriebenen Markenware von Bedeutung. Und zwar im Verhältnis zum Preisniveau der Konkurrenzware, also der Ware der anderen Marken. Wenn die gehandelte Markenware deutlich teurer ist als die Konkurrenzmarkenware, dann kann dies auf eine hohe Sogwirkung dieser Marke hindeuten. Denn offenbar rechtfertigt sie aus Sicht der Endverbraucher einen Preisaufschlag. Freilich kann es auch andere Gründe für das höhere Preisniveau geben, etwa eine höhere Qualität, längere Lebensdauer oder ein besseres Service bietende Vertriebsmittler.

Verhalten der Kunden nach Vertragsende als Indiz

Noch wichtiger für die Bemessung der Sogwirkung ist aber ein anderer Aspekt, und zwar das Verhältnis von Markentreue und Händlertreue. Am deutlichsten wird dieses Verhältnis durch eine Gegenüberstellung der „händlertreuen“ und „markentreuen“ Kunden nach Vertragsende.

  • Wenn Kunden nach Ende der Vertriebsbeziehung der Marke treu bleiben (also den Händler bzw. Vertreter wechseln), liegt darin ein starkes Indiz für eine hohe Sogwirkung der Marke. Gleichzeitig wird aber gerade in solchen Fällen schon der errechnete Ausgangsbetrag höher sein. Denn insoweit hat der Absatzmittler dem Unternehmer mehr Kunden zugeführt, aus denen der Unternehmer dauerhaft Vorteile ziehen kann, weil sie ihm, und nicht dem Händler, erhalten bleiben.
  • Wechseln Kunden nach Ende der Vertriebsbeziehung hingegen in großer Zahl die Marke, um ihrem Händler bzw. Vertreter treu bleiben zu können, zeugt dies von einer geringen Sogwirkung. Ein Billigkeitsabschlag wegen einer Sogwirkung ist dann nicht gerechtfertigt. Freilich wird dann schon der errechnete Ausgangsbetrag recht bescheiden sein, weil dem Unternehmer insoweit kaum Vorteile aus den Geschäftsbeziehungen verbleiben. Das ist das Tatbestandsmerkmal der Ziffer 2 in § 24 Abs 1 Handelsvertretergesetz.

Bedeutung der Sogwirkung der Marke im Kfz-Bereich

Der Leser halte sich die hohe Bekanntheit von Kfz-Marken und die mit ihnen assoziierten Emotionen und Charaktereigenschaften vor Augen.

Schnell wird klar, dass die Sogwirkung der Kfz-Marken bei der Bemessung des Billigkeitsabschlags und des Ausgleichsansprucs bislang womöglich unterschätzt wurde. Denn der durchschnittliche Fahrzeugkäufer entscheidet sich zuerst für eine Marke und erst auf Grundlage dieser Entscheidung für einen Händler. Dieser Umstand bietet den Kfz-Importeuren und Kfz-Herstellern Argumentationsspielraum, der zum Teil noch nicht ausgeschöpft ist.

Sogwirkung der Marke - besondere Bedeutung im Kfz-Bereich, insbesondere im Luxussegment.

Unbestritten sind aber auch die bescheidenen Handelsspannen im Kfz-Vertrieb. Ausgehend davon wird zum Teil vertreten, dass die hohe Bekanntheit der Marke bereits in den geringen Handelsspannen ihren Niederschlag gefunden habe. Ein weiterer Billigkeitsabschlag sei deshalb nicht gerechtfertigt. Überlegungen dahingehend finden sich etwa bei Nocker, HVertrG² § 24 Rz 739, der freilich nur von Indizien spricht.

Der BGH hat dieser Ansicht in der oben erwähnten VOLVO-Entscheidung (Rn 30, und zwar unter Berufung auf BGH 5.6.1996, VIII ZR 7/95) widersprochen. Demnach sei der Billigkeitsabschlag aufgrund der Sogwirkung der Marke auch gerechtfertigt, wenn diese bereits in die Rabattbemessung eingeflossen sei.

Zu berücksichtigen ist auch folgende Überlegung. Eine niedrige Handelsspanne wird am Markt vor allem dann Bestand haben, wenn die Ernennung zum Vertragshändler anderweitige Vorteile bringt. So kann es etwa sein, dass eine besonders hohe Anzahl an Verkäufen die niedrige Handelsspanne mehr als wettmacht. Und diese hohe Anzahl an Verkäufen würde wiederum den Ausgleichsanspruch zunächst ohnehin erhöhen. Oder aber die Ernennung zum Vertragshändler bietet besseren Zugang zum Netz der zugelassenen Werkstätten. Und dieser Zugang liefert dann womöglich auch über das Vertragsende hinaus Vorteile. Insofern wäre der Sogwirkung der Marke im Zuge der Billigkeitsprüfung auch dann Rechnung zu tragen, wenn die Handelsspanne nicht berauschend groß war.

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