Verpflichtung der Händler zum Geo-Blocking als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung

Anlässlich des Berichtes „Geo-blocking practices in e-commerce“ vom 18. März 2016 im Rahmen der „Sektoruntersuchung E-Commerce“

Die Europäische Kommission untersucht seit Mai 2015 den Europäischen Online-Handel, um dort vermutete Wettbewerbsprobleme aufzudecken. Sie hat am 18. März 2016 die ersten Ergebnisse dieser Sektoruntersuchung veröffentlicht, und zwar zum Thema „Geo-Blocking“. Beim Geo-Blocking verwehren Online-Händler den Endverbrauchern aus bestimmten Mitgliedstaaten aufgrund ihres Standortes den Erwerb ihrer Produkte. Der Standort des Interessenten wird meistens mittels seiner IP-Adresse oder seiner angegebenen Kreditkartendaten übeprüft.

Dieser Beitrag erläutert zunächst, inwiefern Geo-Blocking den Wettbewerb einschränkt. Außerdem werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung der Kommission zusammengefasst.

 

Erscheinungsformen des Geo-Blocking

Geo-Blocking kann unterschiedliche Formen annehmen:

  • Nutzern aus anderen Mitgliedstaaten wird der Zugang zur Website gesperrt.
  • Nutzer werden automatisch auf eine andere Website umgeleitet. Womöglich sind dort dieselben Produkte erhältlich, aber zu einem anderen Preis.
  • Erst im Zuge der Bestellung, insbesondere bei der Angabe der Lieferanschrift oder der Zahlungsdaten, wird aufgrund des Standorts des Nutzers ein Kauf verweigert.

 

Einseitiges Geo-Blocking ist nicht kartellrechtswidrig

Liegt dem Geo-Blocking ein freier Entschluss des Händlers zugrunde, also insbesondere keine Vereinbarung mit dem Lieferanten und auch keine Ausübung von „inoffiziellem“ Druck, dann fällt die Nichtbelieferung bestimmter Gruppen von Endverbrauchern nicht in den Anwendungsbereich des Art 101 Abs 1 AEUV, weil diese Bestimmung bekanntlich nur zweiseitige Verhaltensweisen sanktioniert.

Freiwilliges Geo-Blocking ist aus wettbewerbsrechtlicher Sicht daher hinzunehmen. Wenn ein Händler diesen Schritt aus freien Stücken setzt, dann wird er einen Grund haben, also der Ansicht sein, dass es für ihn keine Vorteile brächte, auch in andere Mitgliedstaaten zu liefern. Wettbewerbspolitisch gibt es keinen Anlass, hier einzugreifen.

 

Vereinbartes Geo-Blocking oder „Druck von oben“

Sobald dem Geo-Blocking eine Vereinbarung (oder eine abgestimmte Verhaltensweise) zugrunde liegt, insbesondere eine Vertriebsvereinbarung zwischen dem Lieferanten und dem Händler, wird es wettbewerbsrechtlich sehr schnell problematisch, wie die Kommission in ihrem Bericht, zum Teil unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des EuGH, zusammenfassend klarstellt (Rn 44 ff):

  1. Vereinbarungen, die eine Aufteilung der nationalen Märkte entlang der Grenzen der Mitgliedstaaten zum Ziel haben, bezwecken eine Wettbewerbsbeschränkung und fallen daher unter das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV (EuGH 13.7.1966, Rs 56/64 and 58/64, „Grundig“). Sie sind geeignet, das Ziel des EU-Vertrags, die nationalen Märkte zu einem Binnenmarkt zu vereinen, zu torpedieren (Rn 44; EuGH 4.10.2011, C-403/08 and C-429/08, „Premier League“, Rn 139).
  2. Eine vertragliche Beschränkung, die entweder ausdrücklich oder in ihrer Wirkung den Vertriebsweg „Internet“ verbietet, bezweckt ebenfalls eine Beschränkung des Wettbewerbs (Art 101 Abs 1 AEUV; EuGH 13.10.2011, Rs C-439/09, „Pierre Fabre“, Rn 47 und 54).
  3. Eine vertragliche Beschränkung des räumlichen Gebiets, in das ein Händler verkaufen darf, oder der Kundengruppen, an die ein Händler verkaufen darf, ist als Wettbewerbsbeschränkung, und zwar als Kernbeschränkung iSd Vertikal-GVO anzusehen, und zwar gemäß Art 4 lit b, sofern nicht eine der dort genannten Ausnahmen vorliegt (Rn 47).
  4. Im Falle eines selektiven Vertriebssystems handelt es sich bei jeder Form von Beschränkung von Verkäufen an Endverbraucher um eine Kernbeschänkung (Rn 48; Art 4 lit c Vertikal-GVO).
  5. Im Hinblick darauf, dass auch eine abgestimmte Verhaltensweise (und nicht nur eine Vereinbarung) den Tatbestand des Art 101 Abs 1 AEUV erfüllt, wenn sie den Wettbewerb spürbar beschränkt, reicht es aus, wenn der Lieferant Druck auf die Händler ausübt und diese sich fügen.

Das Hauptmotiv aus Sicht eines Lieferanten, von seinen Händlern eine der erwähnten Formen des Geo-Blocking zu verlangen, ist das Bewahren von unterschiedlich hohen Preisniveaus in den Mitgliedstaaten. Es soll verhindert werden, dass das hohe Preisniveau mancher Mitgliedstaaten sich an das niedrige Preisniveau anderer Mitgliedstaaten angleicht.

 

Ergebnisse der Untersuchung der Kommission

Die Kommission versendete Fragebögen an Händler aus unterschiedlichen Branchen und wertete die Antworten aus. Folgende Ergebnisse sind besonders bemerkenswert:

  • Ein Drittel der Händler, die den Fragebogen retournierten, gab an, Online-Marktplätze zu nützen, um ihre Produkte zu vertreiben (Rn 61). Jene Händler, die solche Marktplätze nützen, vertreiben ihre Produkte mit höherer Wahrscheinlichkeit auch ins Ausland.
  • 84% der Marktplätze gaben an, dass sich die Händler aussuchen können, ob sie auch ins Ausland liefern.
  • 12% der Händler gaben an, dass sie in irgendeiner Form vertraglichen Verpflichtungen zum Geo-Blocking ausgesetzt sind. Diese 12% verteilen sich auf sämtliche Produktkategorien. Sehr verbreitet sind solche vertraglichen Wettbewerbsbeschränkungen bei Kleidung, Schuhen, Unterhaltungselektronik und Sport- und Outdoorbekleidung.
  • Manche Händler gaben an, dass ihnen mündlich (und nicht im Händlervertrag) vom Lieferanten untersagt wurde, ins Ausland zu verkaufen. Von Repressionsmaßnahmen seitens des Lieferanten als Reaktion auf eine Lieferung ins Ausland wurde berichtet.
  • Händler berichten, dass ihre Lieferanten mit unterschiedlichen Preislisten (unverbindliche Preisempfehlungen) für unterschiedliche Mitgliedstaaten arbeiten und die Unterschiede im Preisniveau aufrecht erhalten möchten.
  • Dennoch beruht ein Großteil des Geo-Blocking auf einer einseitigen Entscheidung der Händler.

Eine Wiedergabe sämtlicher Feststellungen der Kommission würde den Rahmen sprengen und dem Zweck dieses Blogs zuwiderlaufen. Der volle Bericht der Kommission ist hier abrufbar.

Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Kommission der doch weit verbreiteten Praxis des Geo-Blocking im Internetvertrieb in Zukunft mehr Aufmerksamkeit widmen wird. Den Lieferanten der Händler (also Herstellern, Vertriebsgesellschaften, Generalimporteuren) ist zu empfehlen, für entsprechendes Bewusstsein in ihrer Vertriebsstruktur zu sorgen.

 

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1 Kommentar zu „Verpflichtung der Händler zum Geo-Blocking als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“

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