Vertikale Preisbindung: Keine Spürbarkeit trotz Kernbeschränkung?

OLG Celle, Urt. v. 7.4.2016, 13 U 124/15 (Kart) – „Rabattaktion“

Die Beklagte (Almased) hat Apotheken in einer einmaligen Aktion eine bestimmte Menge eines Abnehmprodukts, nämlich 12-90 Dosen, zu einem besonders günstigen Preis angeboten und die Apotheken insoweit auf einen Mindestverkaufspreis verpflichtet. Almased wurde von einem Verein zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs unter Berufung auf diese Wettbewerbsbeschränkung und einen daraus folgenden Kartellrechtsverstoß auf Unterlassung in Anspruch genommen.

In erster Instanz wurde die Beklagte noch verteilt. Das OLG Celle als Berufungsgericht hat im Gegensatz dazu entschieden, dass eine Wettbewerbsbeschränkung zwar zweifellos vorlag, dass diese aber mangels Spürbarkeit nicht unter das Kartellverbot fällt, weshalb das Unterlassungsbegehren unberechtigt ist. Die Entscheidung ist insofern bemerkenswert, als es sich bei der Wettbewerbsbeschränkung um eine vertikale Preisbindung handelte, also um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung und sog. Kernbeschränkung.

 

Vertikale Preisbindung als Kernbeschränkung

Wenn der Anbieter einer Ware seinem Abnehmer per Vereinbarung Verkaufspreise vorschreibt, dann handelt es sich dabei um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, weil der Abnehmer in seiner Preisgestaltungsfreiheit eingeschränkt wird.

Schreibt der Anbieter Fix- oder Mindestverkaufspreise vor, dann ist diese Wettbewerbsbeschränkung in keinem Fall gruppenfreistellungsfähig, weil Art 4 lit a der Vertikal-GVO Nr. 330/2010 („Verordnung Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen“) solche Vereinbarungen als Kernbeschränkung qualifiziert, die eine Gruppenfreistellung ausschließen. Die Kommission unterstellt dabei, dass die Nachteile von Mindest- oder Fixpreisen die möglichen Effizienzvorteile praktisch immer überwiegen, und zwar auch bei Marktanteilen der beteiligten Unternehmen von unter 30% (Anwendungsbereich der Vertikal-GVO gemäß Art 3).

 

Die Spürbarkeit als Tatbestandsmerkmal des Art 101 Abs 1 AEUV

Unstrittig und anerkannt ist, dass Vereinbarungen nur dann unter das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV zu subsumieren sind, wenn sie eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Nicht erfasst werden sollen Vereinbarungen, die den Markt nur geringfügig beeinträchtigen (siehe etwa EuGH 13.12.2012, Rs C-226/11 – „Expedia“, Rn 15-17 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

 

Kernbeschränkungen fallen nicht in die De-Minimis-Bekanntmachung

In der sog. De-Minimis-Bekanntmachung der Europäischen Kommission [„Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den Wettbewerb nicht spürbar beschränken, 2014/С 291/01“] legt die Kommission dar, in welchen Konstellationen sie in jedem Fall annehmen wird, dass keine Spürbarkeit vorliegt, und daher kein Verfahren einleiten wird.

Dabei stellt die Kommission vor allem auf die Marktanteile der beteiligten Unternehmen ab: Im Vertikalverhältnis liegt die Schwelle bei 15%. Wenn weder Abnehmer noch Anbieter auf einem der relevanten Märkte diese Schwelle überschreiten, dann unterstellt die Kommission, dass eine Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung nicht vorliegt (De-Minimis-Bekanntmachung, Nr. 8 lit b). Der Marktanteil der Beklagten beläuft sich auf ca. 20%, weshalb die von der Kommission aufgestellte Vermutung fehlender Spürbarkeit von den Gerichten im gegenständlichen Verfahren nicht als Argumentationsgrundlage herangezogen werden konnte.

Von dieser grundsätzlichen Vermutung, dass eine Spürbarkeit unterhalb gewisser Marktanteilsschwellen in keinem Fall vorliegt, nimmt die Kommission aber alle bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen und damit insbesondere auch die in Gruppenfreistellungsverordnungen genannten Kernbeschränkungen aus. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen fallen nicht in den Anwendungsbereich der De-Minimis-Bekanntmachung (vgl. deren Nr. 13). Die Kommission unterstellt dabei, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen jedenfalls spürbar sind (De-Minimis-Bekanntmachung, Nr. 2), und beruft sich für diesen Grundsatz auf die Entscheidung des EuGH vom 13.12.2012, Rs C-226/11 – „Expedia“, und zwar auf deren Rn. 35-37.

Das OLG Celle teilt die Einschätzung der Kommission, wonach bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen stets spürbar sind, ausdrücklich nicht (Urteil, Rn 53) und verweist darauf, dass die De-Minimis-Bekanntmachung Gerichte nicht binden kann (Urteil, Rn 50 und 54). Die einschlägige Entscheidung des EuGH vom 13.12.2012, Rs C-226/11 – „Expedia“ (vgl. insbesondere Rn 36-38) bleibt unerwähnt.

 

Kurze Zeitspanne und keine spürbaren Auswirkungen

Demgegenüber stützt sich das OLG Celle auf BGH 8.4.2003, KZR 3/02 – „1 Riegel extra“, Rn 25 und 26. Nach den dortigen Ausführungen des BGH sei der Verbotstatbestand nicht erfüllt, wenn sich der Eingriff in die Preisgestaltungsfreiheit der Händler (Abnehmer) nur für eine kurze Zeitspanne und praktisch nicht spürbar auswirke.

Im gegenständlichen Fall habe die Verpflichtung eines Mindestverkaufspreises nur für jene Dosen gegolten, die im Rahmen des einmaligen Angebots bei der Beklagten bezogen worden waren. Dabei habe es sich pro Apotheke (Abnehmer) um 12-90 Dosen gehandelt, eine zweite Bestellung sei im Rahmen des besonderen Angebots nicht möglich gewesen. Somit sei eine vergleichsweise geringe Zahl an Dosen von der Wettbewerbsbeschränkung betroffen.

Diese Überlegungen nahm das OLG Celle zum Anlass, die Spürbarkeit der zweifellos bezweckten Wettbewerbsbeschränkung und Kernbeschränkung und daher auch einen Verstoß gegen das Kartellverbot selbst zu verneinen.

 

Würdigung und Kritik

Diese Entscheidung des OLG Celle ist bemerkenswert, weil sie sich im Ergebnis gegen die Erwägungen der Kommission in ihrer De-Minimis-Bekanntmachung (Nr 2 und 13) und gegen die Ausführungen des EuGH 13.12.2012, Rs C-226/11 – „Expedia“ (Rn 35-37) stellt.

Die Entscheidung des OLG Celle ist außerdem bemerkenswert, weil sie sich mit einem wichtigen Aspekt nicht auseinandersetzt: Die Auswirkungen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung müssen grundsätzlich nicht überprüft werden, um einen Verstoß gegen das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV annehmen zu dürfen. Wenn das OLG Celle nun unter Verweis auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit auch bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen auf ihre Auswirkungen hin überprüfen möchte, dann meint das OLG Celle damit im Ergebnis, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen nun offenbar doch ganz generell auch auf ihre Auswirkungen hin überprüft werden müssen. Die Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen wird damit hinfällig.

Auch die Bezugnahme auf BGH 8.4.2003, KZR 3/02 – „1 Riegel extra“ kann nicht überzeugen. Verfahrensgegenständlich war dort ein Höchstverkaufspreis, kein Mindestverkaufspreis. Mindestverkaufspreise sind in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht ungleich verpönter (so lässt Art 4 lit a der Vertikal-GVO Höchstverkaufspreise sogar ausdrücklich zu). Außerdem hat der BGH in der dortigen Entscheidung nicht untersucht, ob die Vereinbarung den Wettbewerb spürbar einschränkt (wie hier), sondern nur, ob das verpönte Verhalten des Anbieters die Preisgestaltungsfreiheit der Abnehmer spürbar beeinflusste. Da dies nicht der Fall war, hat der BGH einen Kartellrechtsverstoß verneint. Dass eine bezweckte, aber nicht spürbare Wettbewerbsbeschränkung vorlag, war hingegen nicht der Grund für das Verneinen eines Kartellrechtsverstoßes.

Der Entscheidung des OLG Celle kann somit weder im Ergebnis noch in der Begründung gefolgt werden.

 

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