Kfz-Werkstatt und Kontrahierungszwang reloaded – BGH zur Jaguar-Vertragswerkstatt

BGH, Urt. v. 26.1.2016, KZR 41/14 – Jaguar-Vertragswerkstatt

Der deutsche Bundesgerichtshof hatte sich einige Jahre nach der hier erörterten Entscheidung „MAN-Vertragswerkstätten“ unlängst erneut mit der Frage zu befassen, ob eine Kfz-Werkstatt einen Rechtsanspruch darauf hat, als Vertragswerkstatt zugelassen zu werden.

Im konkreten Fall klagte eine ehemalige Jaguar-Vertragswerkstatt die deutsche Jaguar-Importeurin auf Vertragszulassung. Ihr Jaguar-Werkstattvertrag war von der Beklagten unter Einhaltung der vertraglichen zweijährigen Kündigungsfrist ordentlich gekündigt worden.

 

Verfahrensgang

Sowohl das LG Frankfurt a.M. als auch das OLG Frankfurt a.M. wiesen das Klagebegehren auf Feststellung eines Anspruches der Klägerin auf Zulassung als Vertragswerkstatt ab. Das Berufungsgericht stützte sich auf die BGH-Entscheidung „MAN-Vertragswerkstätten“ und übertrug die dort bemühte Argumentation auf den gegenständlichen Fall:

  • Abzustellen sei auf jenen vorgelagerten Ressourcenmarkt, auf dem sich die Hersteller/Importeure als Anbieter und die Kfz-Werkstätten als Nachfrager gegenüber stehen.
  • Dieser Ressourcenmarkt sei markenübergreifend und nicht markenspezifisch abzugrenzen. Die Auffassung der Europäischen Kommission sei unerheblich.
  • Eine unternehmensbedingte Abhängigkeit (relative Marktmacht) liege zwar nahe, allerdings sei der Beklagten durch die zweijährige ordentliche Kündigungsfrist eine angemessen Übergangsfrist eingeräumt worden, weshalb keine unbillige Behinderung vorliege.

 

Entscheidung des BGH

Der BGH hat der Revision der Klägerin Folge gegeben und das Berufungsurteil aufgehoben. Er vermisst diverse Feststellungen zu entscheidungswesentlichen Punkten, die das Berufungsgericht aufgrund unrichtiger Rechtsansicht nicht getroffen hat.

Zusammengefasst hat der BGH seine im Urteil „MAN-Vertragswerkstätten“ dargelegten rechtlichen Argumente bestätigt, allerdings hat er betont, dass die tatsächlichen Marktverhältnisse im Nutzfahrzeugbereich und im Bereich der hochpreisigen Personenkraftwagen nicht zwingend dieselben sind. Da das Berufungsgericht aber offenbar implizit nicht nur die rechtlichen Erwägungen, sondern auch Feststellungen über Marktverhältnisse aus der MAN-Entscheidung übernommen hat, hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Rechtssache zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

Dabei hat er die rechtlichen Aspekte, die für die Prüfung eines Kontrahierungszwangs wesentlich sind, ausführlich dargelegt:

 

Marktabgrenzung – Ressourcenmarkt und Endverbraucherverhalten

Völlig zutreffend bestätigt der BGH, dass nicht der Endkundenmarkt und die Präferenzen der Endkunden, sondern der vorgelagerte Ressourcenmarkt und die Präferenzen der Kfz-Werkstätten relevant sind (Urteil, Rn. 20). Allerdings können bekanntlich die Verhältnisse auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt Auswirkungen auf die Abgrenzung des vorgelagerten Ressourcenmarktes haben (Urteil, Rn. 22; vgl. die Vertikal-Leitlinien der Kommission, Rn. 89).

Gerade zu diesem Punkt aber fehlen offenbar Feststellungen: Während in der MAN-Entscheidung (Rn. 17) festgestellt war, dass ein Großteil der Reparatur- und Serviceleistungen an Nutzfahrzeugen der Marke MAN durch freie Werkstätten erbracht wird, fehlt eine entsprechende Feststellung im konkreten Fall. Der BGH lässt sich sogar zu der Vermutung hinreißen, dass die privaten Eigentümer eines Jaguar womöglich gesteigerten Wert darauf legen, ihr Fahrzeug auch nach Ablauf der Garantiefrist von einer Jaguar-Vertragswerkstatt warten und instand halten zu lassen, auch wenn dies teurer sei. Demgegenüber dürfte bei Nutzfahrzeugen, die gewerblich genutzt werden und zum Teil in Flotten gehalten werden, der Kostenfaktor eine wesentlichere Rolle spielen (Urteil, Rn. 24). Es geht also auch auf dem Ressourcenmarkt um die „Ansprüche, Erwartungen und Gepflogenheiten der Fahrzeugeigentümer auf dem Endkundenmarkt“ (Urteil, Rn. 24).

Das Verhalten der Fahrzeugeigentümer auf dem Endkundenmarkt wird nämlich laut BGH darüber entscheiden, inwieweit freie Werkstätten, die Arbeiten an Fahrzeugen einer bestimmten Marke durchführen wollen, eine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit haben, diese Tätigkeit auch ohne Zulassung als Vertragswerkstatt auszuüben (Urteil, Rn. 22). Und jetzt der entscheidende Punkt:

„Ist dies nicht der Fall, so ist der Hersteller hinsichtlich des Zugangs zu Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für seine Marken marktbeherrschend und der vorgelagerte Ressourcenmarkt markenspezifisch abzugrenzen.“

Denn nach dem Bedarfsmarktkonzept sind dann Alternativen (wie etwa die Zulassung als Werkstatt einer anderen Marke oder die Tätigkeit als freie Werkstatt) nicht geeignet, den Bedarf einer Werkstatt, die eine bestimmte Marke bedient, zu decken.

Dazu eine kurze Würdigung: Dieser Ansatz des BGH wird im Ergebnis richtig sein, methodisch betrachtet ist er allerdings meines Erachtens nicht ganz sauber: Streng genommen fragt das allgemein anerkannte Bedarfsmarktkonzept nach der Substituierbarkeit der in Rede stehenden Ware aus Sicht der Nachfrager und nicht nach der Unerlässlichkeit für ihre Dienstleistung (wie der BGH). Die „Ware“ ist hier der Jaguar-Werkstattvertrag (und die damit verbundenen Rechte), die Nachfrager sind vor allem die Jaguar-Werkstätten (und weniger die freien Werkstätten: vgl. zur Frage der „potenziellen Wettbewerber“ auf der Nachfrageseite etwa Roth/Ackermann in Frankfurter Kommentar, Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG, Rn 369 und 374). Und nach der Substituierbarkeit fragt man im Allgemeinen, indem man die Reaktion der Jaguar-Werkstätten auf eine dauerhafte, signifikante, aber nicht allzu große Verschlechterung der vom Jaguar-Importeur (der Beklagten) gebotenen Konditionen antizipiert oder erforscht. Das wird freilich im Ergebnis in den meisten Fällen wenig Unterschied machen: Die Unerlässlichkeit des Werkstattvertrags schließt eine Substituierbarkeit desselben schon per definitionem aus. Und ob es Fälle gibt, in denen eine Substituierbarkeit verneint wird, die Unerlässlichkeit aber noch nicht vorliegt, darf bezweifelt werden und hängt wohl schlussendlich davon ab, wie die Begriffe der „Substituierbarkeit“ und der „Unerlässlichkeit“ im strengsten Sinne definiert werden. Insgesamt ist die Betrachtungsweise des BGH selbstverständlich zutreffend, wonach wohl das Nachfrageverhalten der Kfz-Werkstätten von den antizipierten Präferenzen der Endkunden abhängen wird.

 

Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

In letzter Konsequenz führt der BGH noch aus, dass die Beklagte, sollte der Markt markenspezifisch abgegrenzt und daher von ihr beherrscht werden, missbräuchlich handeln würde, wenn sie die Klägerin unbillig behindert oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund anders behandelt als gleichartige Unternehmen (Urteil, Rn. 26). Deshalb sei es insbesondere nicht möglich, ohne sachliche Gründe einem Unternehmen den Zutritt zum Werkstättennetz zu verwehren, obwohl gleichartige Unternehmen aufgenommen werden. Daraus könne sich ein Kontrahierungszwang ergeben.

Zur Frage, welches Verhalten missbräuchlich wäre, nimmt der BGH im Zuge der Prüfung der unternehmensbedingten Abhängigkeit (relativen Marktmacht) aber ausführlicher Stellung:

 

Unternehmensbedingte Abhängigkeit der Kfz-Werkstatt

Wenig überraschend hat der BGH eine unternehmensbedingte Abhängigkeit (in Österreich: relative Marktbeherrschung gemäß § 4 Abs 3 Kartellgesetz) für naheliegend gehalten, schließlich war die Klägerin jahrelang Jaguar-Vertragshändlerin und Jaguar-Vertragswerkstatt. Mangels entsprechender Feststellungen konnte der BGH aber keine definitive Aussage treffen, aus revisionsrechtlichen Gründen unterstellte er in weiterer Folge aber eine unternehmensbedingte Abhängigkeit.

Im Anschluss daran prüfte der BGH, ob die Beklagte die unternehmensbedingt abhängige Klägerin durch die ordentliche Kündigung des Werkstattvertrags unter Einhaltung einer zweijährigen Kündigungsfrist unbillig behindert oder ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt hat:

Der BGH verweist darauf, dass auch der Marktbeherrscher grundsätzlich frei ist, seine geschäftliche Tätigkeit nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll erachtet. Nach der BGH-Rechtsprechung reiche daher – wie das Berufungsgericht richtig angenommen hatte – eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist aus, um sich keiner unbilligen Behinderung schuldig zu machen.

Allerdings besteht diese unternehmerische Freiheit nur innerhalb der durch das Kartellrecht gezogenen Grenzen: Missbrauch und Wettbewerbsbeschränkung sind verboten. Der BGH verweist noch darauf, dass eine Interessenabwägung durchzuführen, dabei aber eine allfällige beabsichtigte Umstellung des zuvor qualitativ selektiven Werkstattnetzes auf ein quantitativ selektives kein berücksichtigungswürdiges Interesse der Beklagten begründen kann. Im Übrigen vermisst der BGH Feststellungen zu den Gründen für die Verweigerung des Werkstattvertrags, sodass eine Diskriminierung nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Ausführungen zu diesem Punkt enthalten wenig Neues.

 

Ergebnis

Insgesamt hat der BGH seine mit der MAN-Entscheidung begonnene Rechtsprechung konsequent fortgeschrieben und verfeinert, indem er mit größerer Deutlichkeit als noch in der MAN-Entscheidung den Einfluss der Endkundenpräferenzen auf das Nachfrageverhalten der Kfz-Werkstätten hervorgehoben hat.

Aus Sicht des BGH ist für die Marktabgrenzung und damit für die Prüfung der Marktbeherrschung entscheidend, ob die Zulassung als Vertragswerkstatt für eine Werkstatt unerlässlich ist, um in wirtschaftlich sinnvoller Weise Instandhaltungs- und Wartungsdienstleistungen für Fahrzeuge dieser Marke anbieten und erbringen zu können. Damit eröffnet er ein weites Feld für Argumente und vertretbare Rechtsansichten, dies zulasten der Rechtssicherheit.

 

Praxisfolgen für Österreich

Schon aufgrund der nachvollziehbaren Begründung des BGH im Zuge der Marktabgrenzung ist zu erwarten, dass auch der OGH (und die Bundeswettbewerbsbehörde) den relevanten Ressourcenmarkt abgrenzen und dabei auf das Nachfrageverhalten der Endkunden abstellen würde, durch welches das Nachfrageverhalten der Kfz-Werkstätten nach den benötigten „Ressourcen“ bestimmt wird.

Es wird daher im jeweiligen Einzelfall zu prüfen sein, ob eine markenspezifische oder markenübergreifende Marktabgrenzung wahrscheinlicher ist. Gerade bei Premiummarken ist es plausibel, zu erwarten, dass die Zulassung als Vertragswerkstatt für eine Kfz-Werkstatt eine noch wichtigere Ressource bedeutet als bei mittelpreisigen und preiswerten Marken, allerdings ist auch dies mit Vorsicht zu genießen: Denn auch bei Premiummarken ist nach Auffassung des BGH danach zu fragen, ob eine wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit als freie, auf die jeweilige Marke spezialisierte Kfz-Werkstatt möglich ist oder nicht. Dies kann von vornherein wohl kaum ausgeschlossen werden.

Die Entscheidung des BGH ist daher zwar im Ergebnis zutreffend und in kartellrechtlicher Hinsicht konsequent, allerdings bietet sie einen großen Argumentationsspielraum und ist daher mit einem großen Maß an Rechtsunsicherheit verbunden.

Hinzu kommt aus Sicht der Importeure das Risiko, dass die Europäische Kommission als europäische Kartellbehörde keineswegs an die Rechtsansicht des BGH gebunden ist, sodass eine übergangene Kfz-Werkstatt vor Gericht zwar womöglich scheitert, aber dennoch eine Geldbuße verhängt wird.

Interessant wird sein, wie der OGH die relative Marktbeherrschung definiert, wie er sie prüft, und welche Gründe er für eine Kündigung durch den relativen Marktbeherrscher zulässt. Zum Tatbestand der relativen Marktbeherrschung gemäß § 4 Abs 3 öKartG fehlt Rechtsprechung des OGH . Bei der Frage, wann auch dem relativen Marktbeherrscher eine Kündigung gestattet ist, ist zu beachten, dass eine Ungleichbehandlung sich nicht bereits damit rechtfertigen lässt, dass der Importeur die Anzahl seiner Werkstätten begrenzen möchte. Dies hat der BGH in der vorliegenden Entscheidung klar artikuliert und ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es wäre sonst praktisch jede Geschäftsverweigerung rechtfertigbar.

 

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