OGH: Ausgleichsanspruch des Pächters einer geschlossenen Tankstelle

OGH 28.4.2015, 8 ObA 9/15d

Der OGH hat sich in dieser Entscheidung u.a. zur Frage geäußert, welchen Einfluss es auf den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters (Tankstellenpächters) hat, wenn die vom Handelsvertreter gepachtete Tankstelle im Zuge der Beendigung des Handelsvertretervertrages durch den Unternehmer geschlossen wird:

Womöglich wandern ja nur aufgrund dieser vom Unternehmer getroffenen Entscheidung vom Handelsvertreter akquirierte Stammkunden zur Konkurrenz ab, die ansonsten weiterhin Kunden des Unternehmers geblieben wären. Die dem Unternehmer aus der vom Handelsvertreter aufgebauten Stammkundschaft verbleibenden Vorteile (und somit auch der Ausgleichsanspruch) würden auf diese Weise durch ein Verhalten des Unternehmers zulasten des Handelsvertreters geschmälert.

 

Hier interessierender Sachverhalt und Vorbringen

Die beklagte Unternehmerin hatte – so die erstgerichtlichen Feststellungen – aus strategischen Gründen beschlossen, die vom Kläger als Handelsvertreter gepachtete Tankstelle nach der Kündigung des Handelsvertretervertrages nicht weiter zu betreiben, sondern zu schließen. Grund dafür war vor allem, dass sich aus Sicht der Beklagten die notwendigen Investitionen in den Standort nicht mehr rentieren würden. Außerdem hatte die Beklagte die Liegenschaft, auf der sich die Tankstelle befand, nur befristet gepachtet. Es handelte sich also keineswegs um eine willkürliche Entscheidung.

Der Kläger machte geltend, dass für die Berechnung seines Ausgleichsanspruchs die potentiell erzielbaren Unternehmervorteile zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung relevant seien und sein Ausgleichsanspruch daher unter der hypothetischen Annahme zu errechnen sei, die Beklagte hätte die Tankstelle des Klägers gar nicht geschlossen.

 

Ergebnis und Begründung

Wenngleich der OGH der Revision des Klägers aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (zu an dieser Stelle nicht weiter erörterten Punkten) Folge gegeben hat, hat er dieses Vorbringen des Klägers unmissverständlich zurückgewiesen und in diesem Zusammenhang seine Rechtsprechung zur Frage, welchen Einfluss solche Änderungen in der Vertriebsstruktur des Unternehmers bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs haben, strukturiert zusammengefasst. Dieser Beitrag soll einen kurzen Überblick über die relevanten Überlegungen geben:

Zunächst zur Erinnerung: § 24 Handelsvertretergesetz (zu Anspruchsvoraussetzungen und Berechnung vgl. auch diesen grundlegenden Beitrag) gewährt dem Handelsvertreter bei Beendigung des Handelsvertretervertrages einen Ausgleichsanspruch, wenn und soweit

  1. er dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat und
  2. zu erwarten ist, daß der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann und
  3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.

Hier interessiert ausschließlich das durch Fettdruck hervorgehobene Tatbestandsmerkmal: Aus welchen vom Handelsvertreter aufgebauten Geschäftsverbindungen kann der Unternehmer nach Ende des Handelsvertretervertrags noch erhebliche Vorteile ziehen? Und was bedeutet dabei das Wörtchen „kann“?

Zunächst kommt es – dies folgt schon aus dem „kann“ – nur auf die Möglichkeit des Unternehmers an, aus den vom Handelsvertreter aufgebauten Kundenbeziehungen weiterhin Vorteile zu ziehen. Falls der Unternehmer diese Vorteile schlussendlich nicht verwertet, ist dies bedeutungslos (OGH 13.7.2013, 9 Ob 21/13y). Es sind somit grundsätzlich all jene Stammkunden zu berücksichtigen, die bereit sind, beim veräußerten Nachfolgeunternehmen zu bleiben oder zu einem gleichartigen anderen Unternehmen des Unternehmers zu wechseln. Den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters schmälert es nicht, wenn der Unternehmer auf diese potenziellen Kunden freiwillig verzichtet, etwa indem er die Übernahme ablehnt oder sie durch geänderte Preispolitik abschreckt (neuer Rechtssatz RIS-Justiz RS0130121).

Ein solcher Fall lag hier freilich nicht vor:

Ungeachtet dessen bleibt es dem Unternehmer nämlich unbenommen, seine Geschäftstätigkeit strategischen Änderungen zu unterziehen (OGH 13.7.2013, 9 Ob 21/13y). So kann es etwa der Fall sein, dass der Unternehmer bereits vor Beendigung des Handelsvertretervertrags seine Geschäftstätigkeit vollständig eingestellt hat oder aber seinen Betrieb weiterveräußert und der Erwerber auf den Kundenstamm des Handelsvertreters keinen Wert legt, sodass dieser in den Kaufpreis nicht eingeflossen ist. In beiden Fällen ist wesentlich, dass der Unternehmer aus dem vom Handelsvertreter geschaffenen Kundenstamm tatsächlich keinen Vorteil ziehen kann, weshalb kein Ausgleichsanspruch mehr zusteht, und zwar auch dann, wenn der Unternehmer die Umstände, die dazu führen, in Form von strategischen Änderungen selbst herbeigeführt hat, solange dies nicht willkürlich erfolgt ist. In sachlicher Hinsicht besteht der Unterschied zu der im vorherigen Absatz beschriebenen Konstellation also darin, worauf es zurückzuführen ist, dass dem Unternehmer keine Vorteile mehr verbleiben, wenngleich es in beiden Fällen das Verhalten des Unternehmers ist, das die möglichen Vorteile aus den vom Handelsvertreter aufgebauten Geschäftsbeziehungen vernichtet.

Von dieser Argumentation baut der OGH für den Anlassfall die Brücke zur Schließung eines Tankstellenbetriebs: Relevant sei, dass die Beklagte diese Schließung nicht willkürlich entschieden habe, sondern strategische Gründe dafür vorlagen. Aus diesem Grund ist der Ausgleichsanspruch nicht – wie vom Kläger gefordert – so zu berechnen, als ob die Tankstelle von der Beklagten weiterbetrieben worden wäre, sondern unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beklagte die Tankstelle geschlossen hat.

Das Schließen dieser Tankstelle wird nun zur Folge haben, dass die vom Kläger akquirierten Stammkunden der Beklagten ihren Treibstoffbedarf woanders decken werden. Zu prüfen ist in einem solchen Fall daher, inwieweit solche Stammkunden auch nach der Tankstellenschließung an anderen Standorten der Beklagten tanken und inwieweit sie dies nicht nur aufgrund der Sogwirkung der Marke des Unternehmers und anderer Unternehmensfaktoren (Preis, Lage, Ausstattung, auch des Tankstellenshops, etc.) tun, sondern vor allem aufgrund der Betreuungsverhältnisse an der geschlossenen Tankstelle (auch diesbezüglich verweist der OGH auf OGH 13.7.2013, 9 Ob 21/13y). Nur insoweit hätte der Kläger nämlich die Stammkundschaft der Beklagten in einer Weise erweitert, für die § 24 Handelsvertretergesetz einen Ausgleich gewährt.

Zusammenfassen lassen sich die Erwägungen des OGH folgendermaßen: Soweit die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile aus den vom Handelsvertreter aufgebauten oder erweiterten Geschäftsbeziehungen durch eine strategische Änderung der Geschäftstätigkeit des Unternehmers, die nicht willkürlich erfolgt ist, geschmälert werden, hat der Handelsvertreter zu akzeptieren, dass dadurch auch der ihm zustehende Ausgleichsanspruch sinkt. Dies wird inbesondere dann der Fall sein, wenn der Standort des Handelsvertreters geschlossen wird.

 

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