OGH zur Arzneimittelwerbung – Was bedeutet eine „bis zu 50% stärkere Wirkung“?

OGH 17.11.2015, 4 Ob 184/15k

Der beklagte Arzneimittelhersteller hatte ein Medikament mit der Behauptung beworben, es wirke um „bis zu 50% stärker“ als die vergleichbaren Arzneimittel der Konkurrenz. Ein Mitbewerber wollte sich dies nicht gefallen lassen und ging gegen diese Behauptung per Unterlassungsklage und Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vor. Er machte geltend, dass diese Behauptung irreführend und somit unlauter sei (§ 2 UWG).

Der beklagte Arzneimittelhersteller konnte im Provisorialverfahren bescheinigen, dass sein Medikament tatsächlich stärker wirkt als die Konkurrenzmedizin und dass im Vergleich zum Medikament eines Konkurrenten die Wirkung tatsächlich um 50% stärker ist.

 

Entscheidung und Begründung

In den ersten beiden Instanzen wurde das beantragte Verbot (Einstweilige Verfügung) nicht erlassen. Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung und führte aus, dass „bis zu 50% stärker“ dahingehend verstanden werde, dass das Arzneimittel

  • im unbestimmten Ausmaß stärker sei als alle Konkurrenzprodukte und
  • um 50% stärker als zumindest ein Konkurrenzprodukt.

Da aber genau dies vom beklagten Arzneimittelhersteller bescheinigt worden war, sei der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu Recht abgewiesen worden.

 

Würdigung

Was der OGH zur objektiven Bedeutung der beanstandeten Werbebotschaft ausführt, trifft ohne Weiteres zu. Allerdings verlangt er dabei den Empfängern dieser Werbebotschaft doch einiges an Sprachverständnis und Logik ab. Ob der Durchschnittsverbraucher tatsächlich denselben Scharfsinn an den Tag legt, kann durchaus bezweifelt werden. Mit anderen Worten: Die Werbeaussage ist wahr, was für sich genommen die Irreführung aber noch nicht ausschließt: „Die Tatsache, dass der Verkehr auch mit wahren Angaben – regelmäßig besonders wirkungsvoll – in die Irre geführt werden kann, ist evident“ (Anderl/Appl in Wiebe/Kodek, UWG² § 2 Rz 199).

Unabhängig von der Richtigkeit der beanstandeten Behauptung des beklagten Arzeimittelherstellers hat diese Art der Werbung („bis zu …“) großes Potenzial, aufgrund der bewirkten Irreführung der Endverbraucher die Interessen der Konkurrenten erheblich zu beeinträchtigen: Denn diese Botschaft ist insofern stark vereinfachend und verkürzend, als sie das Ausmaß des Unterschieds in der Wirkung zum am zweitstärksten bzw. drittstärksten wirkenden Konkurrenzprodukt verschweigt. Man stelle sich vor, die Werbung hätte gelautet:

„Unser Medikament X ist 50% stärker als Medikament A, 10% stärker als Medikament B und 2% stärker als Medikament C.“

Diese Behauptung wäre zwar – entsprechende Feststellungen vorausgesetzt – im logischen Sinne genauso zutreffend wie die in Rede stehende Behauptung, aber ungleich präziser. Hervorgehoben und dem Werbeempfänger vor Augen geführt würde dadurch freilich weniger die Dominanz von Medikament X, sondern die Minderwertigkeit von Medikament A im Vergleich zu den Medikamenten X, B und C.

„Unser Medikament X ist bis zu 50% stärker als die Konkurrenzprodukte.“

Die verfahrensgegenständliche und vom OGH zugelassene Behauptung vermittelt demgegenüber vor allem den Eindruck, Medikament X sei deutlich besser als die Konkurrenz (A, B und C). Um wie viel, wird nicht gesagt, aber wenn der Vorsprung gegenüber einem Konkurrenzprodukt bei 50% liegt, dann wird der Durchschnittsverbraucher schnell den Eindruck erhalten, der Vorsprung müsse auch gegenüber den anderen Konkurrenzprodukten signifikant sein. Für den Hersteller von Medikament C – den beschriebenen hypothetischen Sachverhalt zugrunde gelegt – ist das besonders ärgerlich, weil der Hersteller des Medikaments mit der zweitstärksten Wirkung gegen den großen Unterschied zwischen den Medikamenten X (stärkste Wirkung) und A (schwächste Wirkung), der für die Richtigkeit dieser Botschaft verantwortlich ist, nichts unternehmen kann. Die Botschaft wäre ja selbst dann richtig, wenn Medikament C nur um 0,01% weniger stark wirkte als Medikament X.

Der OGH steht zwar auf dem Standpunkt, dass bei der Werbung mit objektivierbaren Testergebnissen (anders als bei sonstiger Alleinstellungswerbung) in der Regel auch die Verkehrserwartung jene sei, dass der Vorsprung des sich rühmenden Testsiegers auf den Zweitplatzierten womöglich gar nicht groß gewesen ist (vgl die Nachweise bei Anderl/Appl in Wiebe/Kodek, UWG² § 2 Rz 187). Diese Verkehrserwartung wird im gegenständlichen Fall durch die Worte „bis zu 50%“ aber erschüttert. Im Übrigen ist eine Alleinstellungswerbung nicht nur dann zu beanstanden, wenn die – ernstlich und objektiv nachprüfbar behauptete – Spitzenstellung nicht den Tatsachen entspricht, sondern auch dann, wenn die Ankündigung sonst zur Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise geeignet ist (RIS-Justiz RS0078472).

Auf diesen Aspekt ist der OGH im vorliegenden Fall nicht eingegangen. Seine Argumentation, die sich an den Wortlaut der in Rede stehenden Werbeaussage anlehnt, bietet Angriffsfläche für Kritik.

 

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