OGH als Kartellobergericht: Vergeblicher Kampf gegen die Hausdurchsuchung

OGH 20.1.2016, 16 Ok 10/15d

In dieser Rechtssache hatte der OGH als Kartellobergericht über mehrere Rekurse gegen vom Kartellgericht (OLG Wien) angeordnete Hausdurchsuchungen („Dawn Raids“) zu entscheiden. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hatte als Antragstellerin beim Kartellgericht (OLG Wien) gegen insgesamt sechs Gesellschaften (Erst- bis Sechstantragsgegnerin) die Anordnung einer Hausdurchsuchung erwirkt. Diese Gesellschaften sind gesellschaftsrechtlich alle unter dem Dach einer bekannten und einflussreichen österreichischen Genossenschaft verbunden und hatten ihren Unternehmenssitz im selben Gebäude.

Sämtlichen Rekursen wurde vom OGH nicht Folge gegeben. Die ausführliche Begründung des OGH bietet Anlass, einzelne bei kartellrechtlichen Hausdurchsuchungen (§ 12 Wettbewerbsgesetz) bedeutsame Aspekte zu beleuchten.

 

Begründeter Verdacht für die Anordnung einer Hausdurchsuchung ausreichend

Die Erst- bis Drittantragsgegnerinnen führen in ihrem Rekurs aus, „angesichts der vor- und nachgelagerten Regelungs- und inbesondere Rechtsschutzdefizite“ obliege es im kartellgerichtlichen Verfahren allein dem Senatsvorsitzenden des Kartellgerichts (OLG Wien), ein faires Verfahren sicherzustellen. Im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes hätten dabei von Amts wegen alle Beweise aufgenommen werden müssen und adäquate und ausreichende Untersuchungen vorgenommen werden müssen, ob die Erstantragsgegnerin überhaupt noch im Mehlbereich tätig ist. Erst im Anschluss daran hätte eine die Individualsphäre der Betroffenen in erheblichem Ausmaß verletzende Hausdurchsuchung angeordnet werden dürfen.

Der OGH stellt klar, dass diese Behauptung nicht richtig ist: Das Gesetz (§ 12 Abs 1 WettbG) verlangt vor der Anordnung einer Hausdurchsuchung keine amtswegigen Untersuchungen durch das Kartellgericht. Das Kartellgericht muss vielmehr prüfen, ob ein begründeter Verdacht eines Kartellrechtsverstoßes vorliegt. Diese Prüfung ist notwendig, aber auch hinreichend. Diesem Verdacht muss nicht schon vor der Hausdurchsuchung im höchstmöglichen Ausmaß nachgegangen werden.

Im konkreten Fall stützte die BWB ihren Antrag auf Anordnung einer Hausdurchsuchung auf ein ihr vorliegendes E-Mail aus dem Februar 2007, in dem ein Mitarbeiter der Erstantragsgegnerin einem Mitarbeiter einer großen Lebensmitteleinzelhandelskette mitgeteilt hatte:

Wie besprochen werden ab Montag, 26. Februar für F*** Aktivbrot 500 Gramm, F*** Balancebrot 500 Gramm und F*** Vitalbrot 500 Gramm bis auf weiteres Sonderrabatte zwischen 10% und 12% bestätigt. Der VKP wird durchgängig auf *** EUR gestellt. Bezugnehmend auf F*** Keimkraft wird noch mitgeteilt, dass M*** *** EUR Verkaufspreis haben wird und B*** *** EUR. Leider schreibt die interne Strategie einen Preisunterschied der beiden Handelsketten vor.

Mit diesem Schreiben hat das Kartellgericht den Verdacht einer vertikalen Preisabsprache der Erstantragsgegnerin mit dem Lebensmitteleinzelhandel sowie der Absprache künftiger Verkaufspreise zwischen A*** und den Einzelhandelsketten sowohl vertikal als auch horizontal begründet, was der OGH nachvollzogen hat. Aus dem Hinweis auf die „interne Strategie“ schloss des Kartellgericht, dass die Praxis der Preisabsprachen und Preisabstimmungen laufend geübt werde. Außerdem ergebe sich laut Kartellgericht auch aus den Erkenntnissen aus anderen gerichtsanhängigen Kartellverfahren der Verdacht, dass zwischen Lieferanten der Produktgruppen Mehl bzw Mehlprodukte und dem Lebensmitteleinzelhandel eine jahrelange Praxis von Preisabsprachen bestanden habe.

Der OGH erachtete diese Erwägungen für zutreffend und bestätigte, dass die Annahme des Kartellgerichts, es bestehe ein begründeter Verdacht eines Kartellrechtsvertoßes gegen die Erstantragsgegnerin, zutreffend gewesen sei, und zwar auch ohne Erhebung weiterer Beweise (etwa die Einvernahme des Mitarbeiters der Erstantragsgegnerin, der das E-mail geschrieben hatte) vor der Anordnung der Hausdurchsuchung. Im Übrigen hat der OGH mehrfach betont, dass sich der Verdacht laut BWB und Kartellgericht ausdrücklich nicht nur auf den verjährten Zeitraum 2007 erstrecke, sondern dass das Kartellgericht in nachvollziehbarer Weise aufgrund des Hinweises auf eine „interne Strategie“ und aufgrund der Erfahrungen aus anderen Kartellverfahren den begründeten Verdacht habe, dass die Praxis der Preisabsprachen jedenfalls auch Zeiträume betrifft, die noch nicht der Verfolgungsverjährung unterliegen.

 

Verwertung von Zufallsfunden

Jenes E-Mail der Erstantragsgegnerin aus dem Februar 2007 an einen Mitarbeiter der Lebensmitteleinzelhandelskette, worauf das Kartellgericht (OLG Wien) die Anordnung von Hausdurchsuchungen gestützt hatte, war im Zuge der früheren Ermittlungen der BWB gegen eben diese Lebensmitteleinzelhandelskette aufgefunden worden („Zufallsfund“). Beanstandet wurde, dass ein solcher Zufallsfund nicht verwertet werden dürfe.

Jedoch ist die BWB – so der OGH – trotz des Verwertungsverbots gemäß § 11 Abs 1 WettbG berechtigt, im Zuge von Ermittlungsmaßnahmen zu Tage geförderte Zufallsfunde zu verwerten und als Grundlage der Einleitung eines neuen Verfahrens heran zu ziehen, sofern durch die so erlangten Unterlagen nicht der Nachweis für das Vorliegen des im gegenständlichen Ermittlungsverfahren verfolgten Wettbewerbsverstoßes erfolgt, sondern diese – wie im gegenständlichen Falle – als Ausgangspunkt für neue Ermittlungen dienen (OGH 26.11.2013, 16 Ok 5/13).

 

Erforderlichkeit der Hausdurchsuchung

Die Erst- bis Drittantragsgegnerinnen machten in ihrem Rekurs geltend, dass die Hausdurchsuchung als intensiver Eingriff in die Rechte der Betroffenen im gegenständlichen Fall nicht notwendig gewesen sei, sondern ein Auskunftsverlangen ausgereicht hätte.

Dem setzte der OGH entgegen, dass eine Hausdurchsuchung zur Aufklärung eines begründeten Verdachts immer schon dann geeignet und erforderlich sei, wenn erst nach zur Aufklärung geeigneten Informationsquellen gesucht werden muss oder wenn die Vollständigkeit vorhandener Unterlagen überprüft werden muss (OGH 9.11.2011, 16 Ok 5/11 – Brauereikartell). Es ist nicht notwendig, dass die BWB zunächst andere Ermittlungsschritte setzt: Es gibt keine hierarchische Ordnung der Ermittlungsbefugnisse der BWB. Aus der Unschuldsvermutung kann nicht abgeleitet werden, dass keine Ermittlungen durchgeführt werden dürften.

 

Durchsuchungsbefehl gegen 6 Konzerngesellschaften

Beanstandet wurde, dass ein konkreter Verdacht eines Kartellrechtsverstoßes zunächst nur gegen die Erstantragsgegnerin bestanden hatte, das Kartellgericht aber dennoch sofort eine Hausdurchsuchung auch bei der Zweit- und Drittantragsgegnerin und nach entsprechenden Anträgen auch bei der Viert- bis Sechstantragsgegnerin angeordnet hatte.

Der OGH verwies darauf, dass es zulässig sei, eine Hausdurchsuchung auf den gesamten Standort des eines Wettbewerbsverstoßes verdächtigen Unternehmens und auch allfälliger am selben Standort befindlicher verbundener Unternehmen auszudehnen, um der Gefahr der Verbringung relevanter Unterlagen bzw der willkürlichen Zuordnung von Räumlichkeiten, die von den Ermittlern nicht überprüft werden können, entgegenzuwirken (OGH 7.11.2013, 16 Ok 7/13 – Anif-Runden – Sägeindustrie). Mit anderen Worten: Der Adressat einer Hausdurchsuchung muss nicht unbedingt selbst eines Kartellrechtsverstoßes verdächtig sein.

Die BWB hat nach Ausdehnung der Hausdurchsuchung auf die Zweit- bis Sechstantragsgegnerin, die zunächst ausschließlich auf Verdachtsmomente gegen die Erstantragsgegnerin gestützt war, die Sechstantragsgegnerin belastendes Material aufgefunden und im Anschluss daran unverzüglich beim Kartellgericht beantragt, die Hausdurchsuchung gegen alle sechs Antragsgegnerinnen nun auch aufgrund eines Verdachts gegen die Sechstantragsgegnerin durchzuführen. Die Vorgangsweise ist nicht zu beanstanden, führt aber vor Augen, dass die BWB gehalten ist, unverzüglich zu reagieren, wenn sich neue Verdachtsmomente ergeben.

 

Eingeschränkte Verteidigungsrechte

Es versteht sich von selbst, dass der Zweck einer Hausdurchsuchung durch vor Beginn der Hausdurchsuchung gewährte Verteidigungsrechte womöglich vereitelt werden könnte.

§ 12 WettbG schränkt daher als speziellere Norm § 15 AußStrG ein – der OGH hat dies bekräftigt – und regelt die Mitwirkungs- und Verteidigungsrechte im Falle einer Hausdurchsuchung durch die BWB abschließend.

Demnach ist der Betroffene erst unmittelbar vor Beginn der Hausdurchsuchung zu den Voraussetzungen zu befragen und auch dies nur, soweit dadurch nicht der Ermittlungserfolg wegen Gefahr im Verzug gefährdet wird. Damit verbunden ist eine Einschränkung des in § 15 AußStrG geregelten Rechts der Kenntnis- und Stellungnahme vor Erlassung der gerichtlichen Entscheidung und somit des rechtlichen Gehörs. Aus Sicht der Betroffenen muss dies hingenommen werden.

 

Vorschriftswidrige Maßnahmen im Zuge der Hausdurchsuchung

Die Erst- bis Drittantragsgegnerinnen hatten sich in ihrem Rekurs auch darüber beschwert, dass die BWB u.a. alle E-Mails eines in einem anderen Geschäftsbereich (Zucker) tätigen Mitarbeiters gesichert und damit verfassungsrechtliche Prinzipien (Art 6 EMRK) verletzt hätte. Die BWB hätte nicht angemessen berücksichtigt, dass die Erst- bis Drittantragsgegnerinnen ihr vor Beginn der Hausdurchsuchung mitgeteilt hätten, nun schon seit über fünf Jahren nicht mehr im Mehlbereich tätig zu sein.

Der OGH weist zu diesen Vorwürfen zutreffend darauf hin, dass sie nicht die verfahrensgegenständliche Frage betreffen, ob die Anordnung der Hausdurchsuchung zurecht erfolgt ist, sondern die Frage, ob im Zuge der Durchführung der Hausdurchsuchung Verfahrensvorschriften verletzt wurden. Letzteres kann vom Kartellobergericht schon deshalb nicht überprüft werden, weil es sich dabei um eine verwaltungspolizeiliche Maßnahme einer Verwaltungsbehörde handelt, deren Rechtmäßigkeit nur von den Verwaltungsgerichten überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0128003).

 

Zusammenfassung

Die Entscheidung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Rekurse gegen erlassene Hausdurchsuchungsbefehle scheitern in den meisten Fällen, was wohl daran liegt, dass es notwendig wäre, schon die Verdachtsmomente an sich zu zerstreuen. Die Unschuldsvermutung kann dabei nicht ins Treffen geführt werden.

Auf tatsächlicher Ebene führt die Entscheidung deutlich vor Augen, wie leicht in Zeiten des E-Mail-Verkehrs kartellrechtliche Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere Hausdurchsuchungen, kompromittierendes Material zu Tage fördern, das nicht nur den konkret Verdächtigen, sondern auch andere Unternehmer betrifft. Dies liegt freilich im Wesen der Preisabsprache, für die es per definitionem zwei Übeltäter braucht.

 

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