OGH als Kartellobergericht: Verweigerung eines Kfz-Werkstattvertrages sachlich gerechtfertigt

OGH 8.10.2015, 16 Ok 1/15f – K-Vertriebsorganisation

Die Antragstellerin handelt mit Kraftfahrzeugen und betreibt eine Kfz-Werkstatt. Sie war jahrelang autorisierte KIA-Vertragshändlerin und KIA-Vertragswerkstatt. Die Antragsgegnerin ist die österreichische Importeursgesellschaft des KIA-Konzerns und war als solche langjährige Vertragspartnerin der Antragstellerin. Im Jahr 2008 hatte sie den KIA-Händler- und Werkstattvertrag ordentlich gekündigt, nachdem es ab dem Jahr 2006 zu groben Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten gekommen war. Die gegen diese Kündigung gerichtete Klage der Antragstellerin auf Vertragszuhaltung blieb in drei Instanzen ohne Erfolg (OGH 19.6.2013, 3 Ob 33/13v).

Im vorliegenden Verfahren ging die Antragstellerin nun kartellrechtlich gegen die Antragsgegnerin vor und erhob schwerwiegende Vorwürfe:

 

Kartellrechtliche Begehren der Antragstellerin

Die Antragstellerin wandte sich an das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht (§ 58 Abs 1 Kartellgesetz) und machte geltend, dass die Antragsgegnerin den relevanten Markt beherrsche und diese marktbeherrschende Stellung missbrauche, indem sie

  1. sich weigere, mit der Antragstellerin einen Werkstattvertrag abzuschließen,
  2. der Antragstellerin nicht dieselben Konditionen beim Ersatzteilbezug und beim Zugang zu den technischen Daten gewähre wie den zugelassenen KIA-Vertragswerkstätten, und
  3. ihre Gewährleistungs- und Garantiepflichten dazu missbrauche, Reparatur- und Wartungsdienstleistungen an KIA-Fahrzeugen ihrem Werkstattnetz vorzubehalten – dieses 3. Begehren scheiterte freilich schon auf tatsächlicher Ebene, weil festgestellt wurde, dass die Inanspruchnahme der KIA-7-Jahres-Garantie nicht davon abhängig gemacht wird, ob der Fahrzeugbesitzer die erforderlichen Wartungen in einer Vertragswerkstatt oder etwa bei der Antragstellerin durchführen lässt.

Die Antragstellerin begehrte einen entsprechenden Abstellungsauftrag des Kartellgerichts (26 KartG).

Außerdem begehrte die Antragstellerin die Feststellung (§ 28 KartG), dass das Vertriebssystem der Antragsgegnerin gegen das Kartellverbot gemäß Art 101 Abs 1 AEUV verstoße und die Freistellungsvoraussetzungen der GVO nicht erfüllt seien.

 

Verfahrensergebnis und Ziel dieser Entscheidungsbesprechung

Sowohl das OLG Wien als Kartellgericht als auch der OGH als Kartellobergericht haben das Begehren der Antragstellerin zur Gänze abgewiesen. In diesem Beitrag sollen einige der zugrunde liegenden Erwägungen veranschaulicht und erörtert werden.

 

Marktabgrenzung im Kfz-Aftersales-Bereich

Aus rechtsdogmatischer Sicht bedauerlich ist es, dass der OGH im konkreten Fall nicht zu der höchst umstrittenen Frage Stellung nehmen musste, wie jener Markt, auf dem sich die Antragsgegnerin und die Importeursgesellschaften anderer Kfz-Marken einerseits und die Kfz-Werkstätten andererseits gegenüber stehen („Ressourcenmarkt“ – vgl. die in verlinkten Beiträgen erörterte Divergenz zwischen der Europäischen Kommission und dem Bundesgerichtshof, wobei dort v.a. der Kundendienst Gegenstand der Marktabgrenzung war, wohingegen hier das Ersatzteilgeschäft in Rede stand):

Der OGH hat ausgeführt, dass nicht weiter erörtert werden müsste, ob die von der Kommission in den Kfz-Leitlinien vertretene markenspezifische Marktabgrenzung auch im Zusammenhang mit § 4 KartG und Art 102 AEUV anzuwenden sei, weil ohnehin kein Missbrauch einer allfälligen marktbeherrschenden Stellung vorliege (Punkt 3.1 und 3.2 in der Entscheidung).

Man könnte geneigt sein, aus dieser Äußerung den Schluss zu ziehen, der OGH habe zumindest im Zusammenhang mit § 1 KartG und Art 101 AEUV offenbar keine Zweifel, dass die von der Kommission vertretene markenspezifische Marktabgrenzung heranzuziehen sei. Allerdings ist der OGH auf diese Frage in keiner Weise eingegangen, weshalb eine solche Interpretation deutlich überschießend wäre.

Im Gegensatz zum OGH als Kartellobergericht, der sich die Marktabgrenzung im Hinblick auf das nicht vorliegende missbräuchliche Verhalten der Antragsgegnerin „erspart“ hat, hat das Kartellgericht (OLG Wien als 1. Instanz) demgegenüber zur Prüfung des Begehrens gemäß 2. (unterschiedliche Konditionen beim Ersatzteilbezug) eine Abgrenzung des Marktes für die Lieferung von Ersatzteilen und technischen Daten, die für Wartung, Service und Reparaturen von Kraftfahrzeugen benötigt würden, sehr wohl vorgenommen. Der OGH hat sich aber nicht dazu geäußert, ob diese Marktabgrenzung seiner Ansicht nach korrekt durchgeführt wurde, weshalb ihr nur begrenzte Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommen kann. Im Übrigen liegt dem Autor die Entscheidung des OLG Wien nicht vor, sondern bezieht sich der folgende Absatz nur auf ihre Wiedergabe in der Entscheidung des OGH:

Das OLG Wien hat im Zuge dieser Marktabgrenzung ausgeführt, dass freie Werkstätten (wie die Antragstellerin) nicht auf KIA-Fahrzeuge beschränkt seien, weil es am Markt eine Vielzahl an Kfz-Marken gebe und die Antragsgegnerin auf diesem Markt keine marktbeherrschende Stellung habe. Dieser Zugang entspricht freilich nicht dem Konzept der „Nachfragesubstituierbarkeit“, dass bei der Abgrenzung des relevanten Marktes heranzuziehen ist, sondern verweist die Antragstellerin pauschal auf die ihr freistehenden Alternativen. Solche Alternativen gibt es aber in praktisch allen Fällen, so können auch Vertragswerkstätten Fahrzeuge anderer Marken reparieren. In rechtsdogmatischer Hinsicht ist aus dieser schwachen Begründung des OLG Wien als Kartellgericht somit nichts zu gewinnen. Wenn das OLG Wien im Anschluss daran noch auf die Möglichkeit der Antragstellerin verweist, Ersatzteile bei KIA-Vertragswerkstätten zu kaufen und die notwendigen technischen Informationen über die Internetplattform der Antragsgegnerin zu erlangen, dann wird dabei schon nicht mehr der Markt abgegrenzt, sondern ein missbräuchliches Verhalten verneint.

 

Sachliche Rechtfertigung der Verweigerung des Vertragsabschlusses

Zunächst liege ein missbräuchliches Verhalten gemäß 1. oben (durch Verweigerung des Abschlusses des Werkstattvertrages) schon deshalb nicht vor, weil im Hinblick auf die Vielzahl der zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreite und die tiefgreifend gestörte Kommunikations- und Vertrauensbasis die Weigerung der Antragsgegnerin als gerechtfertigt anzusehen sei (so das Kartellgericht). Der OGH hat diese Erwägung bestätigt, und zwar – ausgehend von den Feststellungen – völlig zu Recht: So hatte die Antragstellerin etwa noch zu Zeiten des aufrechten Händlervertrages (2006) Ansprüche in Höhe von € 1 Mio. behauptet und nach der Zurückweisung durch die Antragsgegnerin bereits getätigte Überweisungen von Kaufpreisen für 50 bereits an sie ausgelieferte Fahrzeuge widerrufen, was bis in die koreanische Konzernspitze Empörung ausgelöst hatte.

Der OGH hat somit bestätigt, dass eine gestörte Kommunikations- und Vertrauensbasis und zahlreiche Gerichtsverfahren eine sachliche Rechtfertigung bieten können, einen Vertragsabschluss trotz Kontrahierungszwanges zu verweigern.

 

Unterschiedliche Konditionen für Vertragswerkstätten und freie Werkstätten

Der OGH hat zum Begehren gemäß 2. oben (unterschiedliche Konditionen) außerdem klargestellt (Punkt 3.7. der Entscheidung), dass das einen Marktbeherrscher treffende Diskriminierungsverbot keine Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte erfordere. So seien insbesondere die Vertragswerkstätten im Vergleich zu den freien Werkstätten mit zusätzlichen Kosten belastet, die sich aus der Zugehörigkeit zum qualitativ selektiven Vertriebsnetz und der damit verbundenen Pflicht zur Einhaltung der vorgegebenen Standards ergeben. Aus diesen Gründen kann eine Ungleichbehandlung beim Entgelt und bei den Konditionen gerechtfertigt sein (vgl Nolte in Langen/Bunte, Kartellrecht II, 12. Auflage, Nach Art. 101 AEUV Rz 1138).

Für Hersteller und Importeure bedeutet das, dass insbesondere für den Zugang zu technischen Informationen von freien Werkstätten ein Entgelt verlangt werden darf, das von Vertragswerkstätten nicht gefordert wird. Dies entspricht im Übrigen, worauf der OGH zutreffend hinweist, auch der Bestimmung des Art 7 der VO (EG) 715/2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl 2007 L 171/1: Es dürfe eine angemessene und verhältnismäßige Gebühr verlangt werden.

 

Keine Pflicht des Importeurs, freie Werkstätten direkt mit Ersatzteilen zu beliefern

Des weiteren hat der OGH klargestellt (Punkt 3.6. der Entscheidung), dass den kartellrechtlichen Anforderungen bereits dann entsprochen werde, wenn die freien Werkstätten die Originalersatzteile des Herstellers von autorisierten Vertragswerkstätten kaufen können. Es besteht kartellrechtlich keine Notwendigkeit für einen Hersteller oder Importeur, die freien Werkstätten selbst zu beliefern, solange nur den Vertragswerkstätten nicht verboten wird, auch freie Werkstätten zu beliefern.

Wenn daher die Antragsgegnerin die Originalersatzteile nicht über die Großhandelsstufe, sondern generell nur über die Einzelhandelsstufe, nämlich über die Vertragswerkstätten, vertreibt, dann kann auch die Antragstellerin als freie Werkstatt nicht verlangen, von der Antragsgegnerin unmittelbar mit Originalersatzteilen beliefert zu werden.

Daraus folgt dann aber – als wirtschaftliche Selbstverständlichkeit -, dass diese Originalersatzteile von der Antragstellerin als freier Werkstatt nicht zu denselben Preisen bezogen werden können (Punkt 3.6. der Entscheidung). Schließlich wird der Bezugsquelle der Antragstellerin zuzugestehen sein, beim Verkauf der Originalersatzeile ein wenig mehr zu verlangen, als sie selbst beim Einkauf an die Antragsgegnerin bezahlt hat.

 

Feststellungbefugnis der Kartellgerichte nur für Verstöße gegen das österreichische Kartellgesetz

Das Feststellungsbegehren war darauf gerichtet, dass gegen das Kartellverbot des Art 101 AEUV verstoßen werde und die Gruppenfreistellungsverordnung nicht anwendbar sei. Zu einer solchen Feststellung sind die österreichischen Kartellgerichte gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs 2 KartG nicht befugt.

Die Antragstellerin hätte ihr Feststellungsbegehren freilich auch auf § 1 Abs 1 KartG – wortgleich zu Art 101 Abs 1 AEUV – stützen können, wenngleich die Anwendbarkeit der GVO so nicht vom Begehren umfasst hätte sein können. Der OGH hat aber keinen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen das Kartellverbot des § 1 KartG gesehen, schließlich hat die Weigerung der Antragsgegnerin, mit der Antragstellerin einen Werkstattvertrag abzuschließen, als sachlich gerechtfertigt erachtet, weshalb der qualitativ selektive Charakter des Vertriebssystems der Antragsgegnerin nicht beeinträchtigt wurde. Qualitativ selektive Vertriebssysteme verstoßen im Bereich der Kraftfahrzeuge aber in aller Regel nicht gegen das Kartellverbot, weil sie nicht als wettbewerbsbeschränkend eingestuft werden.

 

Gesamtwürdigung der Entscheidung

Insgesamt wurden aus diesen Erwägungen somit sämtliche Begehren der Antragstellerin abgewiesen. Diese Entscheidung des OGH ist nicht zu beanstanden. Sie ist keineswegs bahnbrechend und beinhaltet in rechtsdogmatischer Hinsicht wenig wirklich Neues, allerdings nimmt der OGH darin – und schon dies macht die Entscheidung erwähnenswert – zu zahlreichen unterschiedlichen kartellrechtlichen Themen deutlich Stellung, wenn auch leider nicht zur Frage der Marktabgrenzung im Aftersales Bereich.

 

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